Aktuell melden viele Händler Rekordumsätze im Rahmen der Cyber Week. Das klingt auf den ersten Blick nach guten Nachrichten für die Handelsbranche. Doch der zweite Blick zeigt ein weniger positives Bild. Denn während das Senken von Preisen leicht ist, stellt die Gegenfinanzierung von Rabatten eine immer größere Herausforderung dar. Etailment-Experte Dr. Christian Maaß stellt in diesem Gastbeitrag die Frage nach den Gewinnern und den Verlierern der Rabattschlachten.
Rabatte sind kein neues Phänomen. Viele kennen noch die traditionellen Sommer- und Winterschlussverkäufe, die bis 2004 streng gesetzlich geregelt waren. Damals ging es für Händler vor allem darum, Lagerbestände abzubauen, um Platz für die neue Saisonware zu schaffen. Kunden hofften auf günstige Schnäppchen.
Heute hat sich dieses Bild komplett geändert. Es gibt keine klaren saisonalen Übergänge mehr. Besonders im Fashion-Sektor wird dies deutlich: Anbieter wie Shein bringen wöchentlich neue Kollektionen auf den Markt, testen und skalieren sie je nach Nachfrage.
![Viele Händler können sich dem Druck der großen Shoppingevents am Jahresende kaum entziehen. Doch es gibt auch Alternativen zur Rabattkeule. Viele Händler können sich dem Druck der großen Shoppingevents am Jahresende kaum entziehen. Doch es gibt auch Alternativen zur Rabattkeule.](https://etailment.de/news/media/7/Cyber-Week-60700-detailp.jpeg)
© IMAGO / Alexander Limbach
Viele Händler können sich dem Druck der großen Shoppingevents am Jahresende kaum entziehen. Doch es gibt auch Alternativen zur Rabattkeule.
Diese Prozesse unterscheiden sich signifikant sowohl von traditionellen Geschäftsmodellen im stationären Handel als auch vom klassischen E-Commerce. Gleichzeitig erwarten Kunden keine einfachen Rabatte mehr, sondern echte „Knallerangebote“. Dies führt soweit, dass oft auch Produkte unter dem Einkaufspreis verkauft werden.
Schlussverkaufsmodus als Dauerzustand
Die Cyber Week ist nüchtern betrachtet somit nichts anderes als ein moderner Winterschlussverkauf vor Weihnachten. Händler haben Gründe geschaffen, um laut mit Rabatten zu werben. Zusätzlich entstehen immer mehr künstliche Anlässe wie der Amazon Prime Day oder der Singles Day – besonders bei chinesischen Anbietern kommen zusätzlich oft noch kreative Ansätze wie Gamification hinzu.
Der Handel befindet sich damit immer mehr in einem permanenten Schlussverkaufsmodus, ähnlich wie bei Matratzengeschäften, wo seit jeher „die besten Rabatte aller Zeiten“ beworben werden – und das scheinbar über das ganze Jahr hinweg.
Die Folgen von Rabattschlachten
Die starke Medienpräsenz der Cyber Week suggeriert steigende Umsätze. Doch steigern solche Rabattschlachten tatsächlich die Gesamteinnahmen? Eine Analyse zeigt: Tendenziell nein.
Der Branchenverband Versandhandel und E-Commerce (BEVH) veröffentlichte jüngst Zahlen zu den Quartalsumsätzen seiner Mitglieder von 2019 bis 2023, wonach sich der relative Umsatzbeitrag des vierten Quartals in den letzten fünf Jahren kaum verändert hat – die beobachtbaren Schwankungen um das Jahr 2020 hingen primär mit den Corona-Effekten zusammen.
Bei genauerer Betrachtung treten aber natürlich realwirtschaftliche Effekte auf. Durch die Cyber Week verschiebt sich bei vielen Händlern z. B. der umsatzstärkste Monat vom Dezember auf den November. Kunden warten wiederum bewusst auf Rabatte und schieben Käufe hinaus oder ziehen sie vor.
![Eine Befragung des BEVH unter seinen Mitgliedern ergab, dass sich der relative Umsatzbeitrag des vierten Quartals in den letzten fünf Jahren kaum verändert hat. Eine Befragung des BEVH unter seinen Mitgliedern ergab, dass sich der relative Umsatzbeitrag des vierten Quartals in den letzten fünf Jahren kaum verändert hat.](https://etailment.de/news/media/7/Quartalsumstze-bevh-60704-detailp.png)
© BEVH 2024
Eine Befragung des BEVH unter seinen Mitgliedern ergab, dass sich der relative Umsatzbeitrag des vierten Quartals in den letzten fünf Jahren kaum verändert hat.
Das führt nicht zu höheren Quartalsumsätzen, sondern erhöht lediglich den Anteil rabattierter Verkäufe. Jeder Händler sollte in so einer Situation hinterfragen, ob dann zumindest
- die umgesetzten Stückzahlen steigen und die operativen Prozesse kosteneffizient skalieren,
- die Einkaufskonditionen für die Cyber Week gut verhandelt sind,
- ggf. eine Gegenfinanzierung der Rabatte über einen höhermargigen Eigenmarkenanteil möglich ist oder
- alternative Einnahmen aus dem Bereich Retail Media und ggf. sogar eigenen Marktplatzaktivitäten generiert werden können.
Je mehr dieser Punkte nicht greifen, desto stärker führen Rabattschlachten zu einem Abschmelzen der Handelsmargen, um die es ohnehin in den meisten Fällen nicht besonders gut gestellt ist – ein endliches Spiel.
Wer gewinnt, wer verliert?
Die Gewinner und Verlierer dieser Rabattschlachten sind keine Überraschung. Klassische Händler mit traditionellen Vertriebskonzepten geraten immer stärker unter Druck – das ist nicht neu, es wird gegenwärtig lediglich noch offensichtlicher als es ohnehin schon ist.
Die Gewinner sind logischerweise solche Unternehmen, die mit anderen Kostenstrukturen und Geschäftsmodellen agieren. Daraus resultieren andere Möglichkeiten der Finanzierung von Rabatten. Aktuell zeichnet sich ab, dass Plattformspieler in diesem Umfeld tendenziell auf der Gewinnerseite stehen werden. Natürlich gibt es nach wie vor Nischen, aber auch in diesen Nischen wird der Wind rauer.
Mitmachen oder nicht?
Sollten Händler bei Rabattschlachten mitmachen? Viele können sich dem Druck kaum entziehen und müssen die Erwartungen der Kunden “irgendwie” erfüllen.
Es gibt jedoch Beispiele, die zeigen, dass es auch anders geht und nicht sofort die Rabatt-Keule geschwungen werden muss. Online-Druckereien wie WirMachenDruck setzen auf eine generelle Tiefpreisgarantie und verzichten auf den Cyber-Week-Trubel mit seinen speziellen Black Deals.
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© Etailment
Apple bewirbt wiederum Gutscheine über 200 Euro, die Kunden mit dem Kauf bestimmter Produkte erhalten. Hier wird folglich nicht der Abverkauf, sondern der Folgekauf incentiviert. Betriebswirtschaftlich ist das leicht erklärbar, da die Gefahr einer Kundenabwanderung nach dem Erstkauf am höchsten ist, ab dem zweiten Kauf sinkt sie in den meisten Fällen bereits deutlich.
Natürlich sind nicht alle Händler in der Position der hier genannten Unternehmen, um solche Entscheidungen treffen zu können. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Kernfrage in allen Fällen unverändert bleibt: Wie kann ich intelligente Anstoßpunkte setzen, um Kundenkontaktpunkte, Margen- und Kosteneffizienz zu maximieren – ohne sofort den Preis zu senken?