Mitte November hat Perplexity in den USA eine neue Einkaufsfunktion vorgestellt – und damit eine neue Ära des E-Commerce eingeläutet, sagt Kristian Kerkhoff von der Technologieagentur Demodern. Warum Perplexity Onlinehändler zwingt, grundlegend neu über ihre digitale Präsenz nachzudenken, erkärt er in diesem Gastbeitrag für Etailment.
Ende der 1990er-Jahre veränderte der Aufstieg des Onlinehandels den Einzelhandel für immer. Amazon war damals eine neuartige Idee, Ebay fühlte sich wie eine digitale Schatzsuche an, und stationäre Geschäfte standen plötzlich vor einer existenziellen Frage: Wie können wir in dieser neuen Welt bestehen? Heute, Jahrzehnte später, stehen wir vor einem weiteren, noch größeren Umbruch. Diesmal ist es nicht das Internet, sondern die künstliche Intelligenz (KI), die die Spielregeln neu schreibt – und diesmal muss sich der E-Commerce fragen, wie er sich dieser Entwicklung entgegenstellen will.
Die Einführung der KI-gestützten Suchmaschine Perplexity hat nun eine neue Ära des E-Commerce eingeläutet. Mitte November hat das Unternehmen eine neue Einkaufsfunktion für seine Bezahl-Kunden in den USA vorgestellt, die Einkaufsempfehlungen in den Suchergebnissen von Perplexity sowie die Möglichkeit bietet, eine Bestellung aufzugeben, ohne auf die Website eines Einzelhändlers zu gehen. Damit nimmt Perplexity AI es mit Google und Amazon auf und beabsichtigt, einen Teil der Suchergebnisse für Einkäufe zu erfassen.
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Perplexity kombiniert KI-gestützte Echtzeit-Internetsuche mit natürlicher Sprachverarbeitung.
Keyword-basierte Suchanfragen und das Scrollen durch endlose Produktlisten, wie wir es von Google und Shopping-Portalen kennen, werden damit der Vergangenheit angehören. Stattdessen verspricht KI personalisierte Empfehlungen, dialogorientiertes Einkaufen und ein hochgradig individualisiertes Nutzererlebnis. Doch diese Revolution verändert nicht nur, wie Verbraucher einkaufen – sie zwingt Unternehmen dazu, grundlegend neu zu denken.
Was kann Perplexity AI?
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Kunde betritt ein hochwertiges Modegeschäft und sagt: „Ich suche ein Kleid für eine Sommerhochzeit, es sollte bequem sein, nicht zu teuer, und ich möchte es auch im Büro tragen können.“ Innerhalb von Minuten präsentiert ein guter Verkäufer drei perfekt passende Optionen, die alle Bedürfnisse des Kunden berücksichtigen.
Genau das macht Perplexity AI für Onlinekäufer. Durch die Kombination von natürlicher Sprachverarbeitung und umfangreichen Datensätzen fungiert es als persönlicher Einkaufsassistent. Sie sagen im Grunde nur, was sie möchten und erhalten sofort passende Artikel, einschließlich Preisangaben und Verfügbarkeit. Es ist, als ob das gesamte Internet zu einem kuratierten Geschäft wird, das auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Und das gilt nicht nur für vereinzelte Produkte, sondern die KI versteht komplexe Zusammenhänge, wie den Einkauf für einen Kindergeburtstag. Hier braucht man von Kuchen, Geschenken, Geburtstagsdeko und Spiele für die Gäste eine Vielzahl an unterschiedlichsten Artikeln von unterschiedlichen Onlineshops. Die KI übernimmt die Planung, die Empfehlung, den Einkauf und das so, dass alles noch vor dem passenden Datum nach Hause geliefert wird. Das ist ein Service, mit dem aktuell kein Onlineshop oder lokaler Handel mithalten kann.
Marketingbudgets und SEO-Taktiken verlieren an Einfluss
Das wirklich Revolutionäre an dieser Technologie ist jedoch seine Priorisierung der Empfehlungen. Anders als traditionelle Suchmaschinen, die Werbeanzeigen und organische Ergebnisse mischen, verlässt sich die KI auf verifizierte Quellen und benutzerzentrierte Logik. Dieser Wandel stellt sicher, dass Kunden nicht von Ad-spendings oder von der richtigen SEO-Taktik beeinflusst, sondern von Relevanz und Qualität geleitet werden.
Für Unternehmen ist dies sowohl spannend als auch herausfordernd. Die Sichtbarkeit eines Produkts hängt nicht mehr allein von Marketingbudgets ab, sondern davon, wie gut das Internet und die KI es „versteht“.
Neue Regeln der Sichtbarkeit
Betrachten wir ein Beispiel: Sie besitzen eine Marke, die umweltfreundliche Trinkflaschen verkauft. Vor nicht langer Zeit hing Ihr Erfolg stark von Suchmaschinenoptimierung, Amazon-Platzierung und Social-Media-Werbung ab. Heute könnte ein KI-Tool wie Perplexity AI Ihre Flasche einem Verbraucher empfehlen, der nach „nachhaltigem, langlebigem Zubehör für Wanderungen“ sucht. Der Haken? Wenn Ihre Produktinformationen online nicht gut dokumentiert oder positiv bewertet sind, könnte Ihre Flasche aus den Empfehlungen herausfallen.
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Pro-Shop-Raster: Perplexity nimmt es mit Amazon und Google Shopping auf.
Dies zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, anders über ihre digitale Präsenz nachzudenken. Sichtbarkeit bedeutet nicht mehr, überall präsent zu sein – sondern klar, glaubwürdig und konsistent dort zu sein, wo KI nach Antworten sucht. Dies erfordert gezielte Investitionen in drei Schlüsselbereiche:
1. Datenqualität vor Marketingbudgets
Händler sollten sich ihre Produktdaten als Lebenslauf vorstellen, der bei einem potenziellen Arbeitgeber eingereicht wird. Wenn er unvollständig, nachlässig oder unklar ist, wird er wahrscheinlich ignoriert. Ebenso benötigen KI-Tools detaillierte, präzise Produktbeschreibungen, hochwertige Bilder und transparente Preisangaben, um Produkte „zu empfehlen“.
Unternehmen, die diese Grundlagen vernachlässigen, riskieren, unsichtbar zu werden – unabhängig davon, wie gut ihre Produkte sind. Shops müssen sicherstellen, dass jede Produktseite reichhaltige Informationen über Materialien, Herstellungsprozesse, Nachhaltigkeit und Einsatzmöglichkeiten enthält. Das hilft nicht nur Kunden, sondern auch den Algorithmen, die darüber entscheiden, was empfohlen wird.
2. Aufbau einer digitalen Reputation
In der Vergangenheit waren Kundenbewertungen und Testimonials ein nettes Extra. Heute sind sie entscheidend. Ein KI-Tool scannt Bewertungen nach Mustern – Begriffe wie „vertrauenswürdig“, „langlebig“ oder „tolles Preis-Leistungs-Verhältnis“ können die Sichtbarkeit steigern. Auf der anderen Seite wird eine inkonsistente Markenführung oder eine schlechte digitale Reputation dazu führen, dass Produkte ausgeschlossen werden.
KI schaut also nicht nur auf die Produktspezifikationen, sondern berücksichtigt auch, was im Internet über eine Marke gesagt wird. Positive Bewertungen, gut geschriebene Inhalte und ein guter Ruf in der jeweiligen Nische sind entscheidend. Eine Marke spricht nicht nur zu potenziellen Käufern, sondern auch zu den KI-Systemen, die die Produkte empfehlen.
3. Präsenz über die eigene Website hinaus
Die eigene Website ist längst nicht mehr der einzige Ort, an dem Produkte sichtbar sein müssen. In einer von KI geprägten Welt entscheiden Plattformen wie Amazon oder Zalando über die Auffindbarkeit – doch auch Inhalte auf Youtube, Reddit oder in Podcasts spielen eine immer größere Rolle. KI-Systeme analysieren diese Quellen, um kontextbasierte Empfehlungen zu generieren, die klassische Suchergebnisse ablösen.
Ein Youtube-Video, das ein Produkt erklärt, oder eine Diskussion in einem Reddit-Forum können ebenso wichtig sein wie eine optimierte Produktseite. Erfolgreiche Marken verstehen, dass es nicht nur darum geht, Produkte zu präsentieren, sondern Teil der digitalen Gespräche zu werden. Sichtbarkeit entsteht heute aus der Qualität dieser Inhalte, der Authentizität der Marke und der Fähigkeit, in relevanten Momenten präsent zu sein. Wer diese Räume ignoriert, riskiert, aus den neuen Empfehlungsmechanismen der KI ausgeschlossen zu werden.
Den Wandel annehmen
Manche Unternehmen hoffen, dass die Verbreitung von KI langsam verläuft oder auf bestimmte Nischen beschränkt bleibt. Diese Denkweise ist riskant.
Zwar ist das E-Commerce-Tool von Perplexity AI zunächst nur in Amerika erhältlich, zudem kann man aktuell nur als “Pro”-Nutzer den integrierten Check-out nutzen und viele Stores müssen zudem noch als Partner gewonnen und angeschlossen werden. Doch die Geschwindigkeit des Wandels ist schneller denn je und auch, wenn die E-Commerce-Schnittstellen erst noch geschaffen werden müssen, ziehen sich die KIs jetzt schon die Infos über Produkte und Unternehmen.
Wenn es also aktuell schlechte Rezensionen über gewisse Produkte gibt, wird jede KI diese auch so nutzen. Und wer löscht diese am Ende aus der KI? Man kann ja den Algorithmen keine E-Mail schreiben, wenn unerwünschte Informationen verbreitet werden. Es gibt nur einen Weg: Jedes Unternehmen muss sich jetzt über eine Strategie beim Thema KI Gedanken machen.
So bereiten sich Händler auf die KI-Revolution vor
Unternehmen sollten ihre Online-Präsenz überprüfen und sich fragen, ob beispielsweise Produktbeschreibungen detailliert und präzise, Bewertungen positiv und zahlreich sind, und ob ihre Marke eine konsistente und vertrauenswürdige Stimme auf allen Plattformen hat. Es ist sinnvoll, in Partnerschaften mit KI-freundlichen Plattformen zu investieren und mit Tools wie Perplexity AI zu experimentieren, um zu verstehen, wie diese die eigenen Produkte bewerten und empfehlen.
Mithilfe der so gewonnenen Erkenntnisse können Händler dann eine übergreifende Strategie entwickeln. Vor allem aber sollten sie auf Transparenz und Authentizität setzen. Kunden – und die KI-Systeme, die ihnen dienen – schätzen Klarheit und Vertrauen.
Die KI-Revolution im E-Commerce ist keine ferne Möglichkeit – sie ist bereits Realität. Unternehmen, die sich anpassen, werden nicht nur überleben, sondern florieren, da das neue Paradigma Klarheit, Glaubwürdigkeit und kundenorientiertes Denken belohnt. Wer sich jedoch widersetzt, riskiert, in einer Welt zurückgelassen zu werden, die keine Geduld für langsame Anpassung hat. Die Zukunft des E-Commerce gehört denen, die bereit sind, die neuen Regeln zu spielen.