Amazon kann dank seiner Infrastruktur und Datenbasis Kunden auf vielen Kanälen erreichen. Immer wieder testet der E-Commerce-Riese auch Konzepte für das stationäre Geschäft – und stampft sie im Zweifel einfach wieder ein. Was sich daraus lernen lässt, erklärt Nils Seebach in seinem Gastbeitrag.
Kaum zieht sich Amazon aus seinem Fresh-Angebot in Deutschland zurück, startet der Online-Gigant wieder ein Experiment im stationären Handel. Unter dem Namen „Amazon Parafarmacia & Beauty“ hat kürzlich ein Store in Mailand eröffnet, der Beauty- und Personal-Care-Produkte anbietet.
Gleichzeitig wird das Online-Angebot in Deutschland, Spanien und Frankreich in den Kategorien Beauty und Personal Care sukzessive ausgebaut. Damit setzt Amazon ein klares Signal: Wenn das stationäre Experiment in Italien erfolgreich läuft, könnte ein europaweiter Rollout folgen – und zwar schnell. Denn wie wir aus vergangenen Amazon-Projekten wissen (man erinnere sich an Amazon Fresh, Amazon Go oder auch Amazon Books), agiert das Unternehmen äußerst agil und testet seine Konzepte in unterschiedlichen Märkten.
Amazon ist bekannt dafür, seine Datenbasis geschickt zu nutzen, um sowohl Sortiment als auch Kundenerlebnis zu optimieren. Unternehmen, die sich ebenfalls auf Omnichannel-Lösungen stützen, dürften davon lernen – etwa, wie man Online-Daten gewinnbringend im stationären Umfeld einsetzt oder personalisierte Angebote entwickelt.
Online first: Wie Amazon stationären Retail anders denkt
Ein kurzer Blick zurück, auf ein anderes Segment: Schon bei den – mittlerweile wieder geschlossenen – „Amazon-Books“-Läden in den USA hatte der E-Commerce-Gigant gezeigt, dass er Regalplatz nicht wie klassische Buchhandlungen vergibt. Stattdessen wurden dort zum Beispiel Titel mit Top-Bewertungen auf Amazon prominent im Laden präsentiert. So wurde die Auslage nicht auf Fläche optimiert mit dem Buchrücken zum Konsumenten, sondern in jedem Regal mit dem Buchdeckel nach vorn gewandt. Der Kunde sieht so sofort, was online gut ankommt, und stöbert nicht bloß durch Buchrücken.
Dieses Prinzip könnte nun 1:1 im Drogeriebereich funktionieren: Bestseller-Beauty-Produkte erhalten mehr „Shelf Space“ und Möglichkeiten zum Testen direkt am Regal. Gleichzeitig liefert Amazon dank riesiger Datenmengen Informationen darüber, welche Produkte beim Kunden besonders gut ankommen, und entwickelt passgenaue Sortimente – im Laden und online.
Ein weiterer Vorteil: Amazon investiert traditionell stark in Forschung und Entwicklung, bevor Gewinne oder Dividenden an erste Stelle rücken. Das bedeutet, dass „Offline-Experimente“ wie „Amazon Parafarmacia & Beauty“ durchaus einige Zeit finanzielle Verluste generieren dürfen, solange ein valider Lerneffekt erzielt wird.
Ziel: Neue Kundengruppen, nicht Retail per se
Erweist sich das Konzept als Flop, wird es einfach wieder eingestellt – so wie man es beispielsweise mit vielen Amazon-Go-Standorten außerhalb der USA gesehen hat oder auch mit Amazon Fresh Stores, die in Deutschland wieder geschlossen wurden, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg brachten. Denn: Amazon geht es nie per se um das Retailgeschäft, sondern nur um das Erschließen von neuen Kundengruppen außerhalb des reinen Onlinehandels. Und bei Beauty-Produkten ist klar, dass etwa Textur, Duft und Konsistenz schwer über Bildschirme zu erleben sind.
Drogerien wie dm oder Rossmann sind in Deutschland äußerst erfolgreich und zählen seit Jahren zu den wenigen Kategorien im stationären Handel, in denen kontinuierliches Wachstum und hohe Kundenzufriedenheit zu beobachten sind. Die Frage ist also: Besteht akute Gefahr durch Amazon? Eher nein – zumindest nicht kurzfristig. Stationäre Top-Player werden für ihren Service, ihr breites Sortiment sowie ihre begonnenen Omnichannel-Konzepte geschätzt und dadurch stark bei der Kundschaft verankert.
Dennoch tun die Drogerien gut daran, ihre eigenen Abläufe und das Kundenerlebnis kontinuierlich zu optimieren. Denn wenn das Konzept „Amazon Parafarmacia & Beauty“ in Mailand funktioniert, könnten neue Standorte in Deutschland, Frankreich, Spanien oder Großbritannien schnell folgen (die nötigen Flächen in den A-Lagen deutscher Innenstädte zumindest dürfte Amazon sich ohne Weiteres leisten können).
Lehren für den Omnichannel: Stationäre Präsenz mit Daten-Power
Was lehrt uns das Ganze aus Handelssicht? Zum einen, dass Amazon konsequent da hingeht, wo die Kunden sind. Das schließt physische Präsenz genauso ein wie ein umfassendes Online-Sortiment. Zum anderen sollte jeder stationäre Händler (unabhängig von der Größe) genau hinsehen, wie Amazon seine weltweiten Online-Daten für das Offline-Geschäft nutzt. Marken, die online bei Amazon hohe Abverkaufszahlen erzielen, dürften im Laden einen prominenten Platz erhalten – was gleichzeitig für „Seller“ zu einem Anreiz wird, im Marketplace noch erfolgreicher zu sein.
Mit einer datengetriebenen Herangehensweise kann Amazon Trends schnell erkennen und in Sortimentsentscheidungen, Ladenbau und Marketing übersetzen. „Amazon Parafarmacia & Beauty“ ist daher weniger eine klassische Konkurrenz-Offensive als vielmehr ein groß angelegter Versuch, stationäre und digitale Stärken zu vereinen und neue Kundenbedürfnisse zu bedienen.
In einer Welt, in der stationärer Handel trotz Online-Booms immer noch relevant ist, werden wir vermutlich weitere mutige Offline-Experimente von Amazon sehen – mit Erfolg oder abruptem Ende, je nachdem, wie der Markt reagiert. Wer sich traut, genau hinzusehen, kann davon eine Menge lernen und seine eigene Omnichannel-Strategie schärfen.