
Barrierefreie Online-Shops
von Stefan Becker am 16. April 2025
Ende Juni müssen Online-Shops barrierefrei sein. Bußgelder wird es vermutlich nicht sofort hageln, aber Anfangen ist angesagt. Das nutzt auch nicht eingeschränkten Kunden.
Wie barrierefrei sind die Webseiten des Online-Handels? Nicht so richtig – wenn man dem Telefon- und Bürodienstleister Ebuero glaubt.
Er hat sich per „Google Lighthouse“ die Startseiten der 50 größten deutschen Online-Shops angeschaut. „Nur zwei Prozent haben die perfekte Bewertung von 100 Punkten erreicht. Das bedeutet, dass 98 Prozent der Webseiten noch Verbesserungspotenzial haben“, schrieb Ebuero im Dezember 2024. Immerhin 24 Prozent der Shops lägen im Bereich „gut“, 42 Prozent im oberen Bereich von „durchschnittlich“.
Uhr tickt
Dabei tickt die Uhr. Am 28. Juni 2025 tritt das BFSG in Kraft, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Dann müssen Online-Shops „für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar“ sein, wie Paragraf 3 definiert. B-to-B-Online- Shops fallen ausdrücklich in den Geltungsbereich – im Gegensatz zu stationären Geschäften.
Für den Fall, dass noch Barrieren zu finden sind, malt Ebuero die größte denkbare Barriere für Händler an die Wand: Es drohten Bußgelder „und im Zweifel sogar die Abschaltung“.
Ganz so schlimm wird es aber erst einmal nicht. Zwar endet Ende Juni eine immerhin fünfjährige Übergangsfrist. „Abschaltungen werden aber vermutlich nicht schon 2025 kommen“, erwartet Elisa Rudolph, Justiziarin des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH). „Das wäre ein massiver Eingriff. Er müsste auf gravierenden Mängeln beruhen und sehr gut begründet sein.“ Auch Abmahnungen hätten wohl erst mal keine Chance vor Gericht: „Dazu braucht es Präzedenzfälle und Rechtsprechung.“
Anfangen zählt
Allerdings möchte wohl kein Onliner Gegenstand eines Präzedenzfalls werden. Anfangen ist daher das Entscheidende: „Online-Shops müssen zum Stichtag 28. Juni glaubhaft belegen können, dass der Prozess der Prüfung und Anpassung angelaufen ist“, so Rudolph. „Die vorgeschriebene Barrierefreiheits-Erklärung ist ein gutes Mittel dafür.“
Diese Erklärung muss künftig auf der Shop-Seite auftauchen, ähnlich wie eine Datenschutzerklärung. Sie ist eine Art Zustandsbeschreibung. Dort soll auch aufgelistet werden, wo noch Hasen im Pfeffer liegen. Dazu kommt die Möglichkeit, dem Webseiten-Betreiber Barrieren zu melden.
„Quick Wins für mehr Barrierefreiheit gibt es immer, zum Beispiel Farbanpassungen für bessere Kontraste.“
Wichtig ist, Barrierefreiheit nicht als alleinstehendes Projekt zu sehen, das innerhalb von ein paar Wochen und für alle Zeit erledigt werden kann, sondern als grundlegenden Teil eines Webauftritts, sagt Svenja Rickertsen, UX Design Consultant der Digitalagentur Dotsource, die Shops in Sachen Barrierefreiheit berät. Zwar gebe es automatische Analysetools, auch empfehlenswerte kostenfreie, doch seien einige der Ergebnisse nur mit Expertise zu verstehen.
Und viele Dinge müssten manuell geprüft werden, zum Beispiel, inwieweit Shops mit Screenreader nutzbar sind – oft haben Formularfelder keine Beschriftung, die von Screenreadern interpretiert werden kann. Auch mit den Anbietern ihrer Shopsysteme sollten sich Händler ins Benehmen setzen, denn viele dieser Systeme sind nach Rickertsens Beobachtung zwar auf dem Weg zur Barrierefreiheit, aber eben noch auf dem Weg. „Shopbetreiber können ihre Verantwortung nicht ans Shopsystem abgeben“, sagt sie. „Im Extremfall müssen sie selbst für Barrierefreiheit sorgen.“ Oder zu einem System wechseln, das die Anforderungen erfüllt.
Roter Faden Kundenprozesse
Rickertsen empfiehlt, die Dinge entlang der Kundenprozesse zu optimieren. So können gute Farbkontraste, lesbare Schriftgrößen, klare Ansagen bei fehlerhaften Eingaben, einfache Navigation auch per Tastatur und Captchas auf Textbasis im Vordergrund stehen, da sie für den Verkaufsprozess von Bedeutung sind. Andere Dinge folgen – denn Barrierefreiheit sei ähnlich wie der Datenschutz sowieso ein laufender Prozess und brauche eine feste Verankerung im Unternehmen.
Barrierefreiheit nutzt nicht nur Kunden mit Einschränkungen. Klare Sprache und einfache Navigation schaffen „Mehrwerte für alle“, sagt Wiktoria Kleindienst, Vorständin der Digitalagentur DC. Barrierefreiheit sei daher „eine echte Chance“. Unter anderem für die Sichtbarkeit: „Wir können davon ausgehen, dass das Ranking von Websites auch durch Barrierefreiheit beeinflusst wird“, sagt Guillaume Vaslin von der Produktdesign- Agentur Enno Studio, „und dass Suchmaschinen wie Google dies in Zukunft stärker gewichten könnten.“