Im Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es fordert von Unternehmen, ihre digitalen Plattformen barrierefrei zu gestalten. Dabei geht es um weit mehr als nur die Bereitstellung von Alternativtexten für Bilder oder das Erhöhen von Kontrasten. Für Verantwortliche von B2C-Onlineshops drängt die Zeit. Marcel Anger, Experte für Frontend-Engineering, erklärt, wo Onlinehändler jetzt die Prioritäten beim Thema Barrierefreiheit setzen sollten.
Laut einer aktuellen Studie sind derzeit noch 90% aller Webseiten nicht ausreichend für das Thema Barrierefreiheit gerüstet. Vielen Unternehmen drohen damit Umsatzeinbußen, Bußgelder bis zu 100.000 Euro oder gar Abschaltung.
Das Thema Barrierefreiheit ist eine Mammutaufgabe für die Unternehmen – insbesondere in einer wirtschaftlich unsicheren Zeit, in der Ressourcen knapp sind, Investitionen wohlüberlegt erfolgen müssen und die richtigen Prioritäten erfolgsentscheidend sein können.
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Bildschirmleser und Computer mit Braille-Display erleichtern blinden und sehbehinderten Menschen den Zugang zum Internet. Ihren vollen Nutzen können solche Assistenzsysteme aber nur entfalten, wenn Seiten barrierefrei gestaltet sind.
Worum geht es?
Wesentliche Grundlage für das Thema Barrierefreiheit sind die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die in drei Konformitätslevel (A-AAA) und vier Prinzipien unterteilt sind:
- Wahrnehmbarkeit
- Bedienbarkeit
- Verständlichkeit
- Robustheit
Diese Prinzipien gewährleisten, dass Inhalte nicht nur verfügbar, sondern auch nutzbar und verständlich sind. Dabei geht es um weit mehr als nur die Bereitstellung von Alternativtexten für Bilder oder das Erhöhen von Kontrasten. Eine vollständige Barrierefreiheit umfasst alle digitalen Schnittstellen – von der Tastaturbedienbarkeit bis hin zur strukturierten Navigation.
Wo fängt man an?
Für Betreiber von Onlineshops bedeutet die Umsetzung der Anforderungen des BFSG zunächst, den aktuellen Stand der Barrierefreiheit ihrer Plattform zu analysieren. Ein umfassender Accessibility-Audit stellt die Basis dar, um bestehende Barrieren zu identifizieren und konkrete Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.
Automatische Tools, beispielsweise das DQM Dashboard von Crownpeak, das WAVE Web Accessibility Evaluation Tool, das diva-e SEO Plugin oder Lighthouse von Google, geben hier eine erste Orientierung und machen potenzielle Barrieren sofort sichtbar. Mit dem NVDA Screenreader können zudem Onlineshops getestet werden, um zu simulieren, wie blinde oder sehbehinderte Personen die Website erleben. Die manuelle Prüfung durch einen Digitaldienstleister füllt im Anschluss die Lücken und vervollständigt das Audit.
Ansprechpartner nennen, Feedback einholen
Wichtig: Eine zentral hinterlegte Barrierefreiheitserklärung („accessibility statement“) auf der Webseite sichert Unternehmen in der Übergangsphase zusätzlich ab und sollte daher der erste Schritt sein. Sie legt – ähnlich der Datenschutzerklärung – den eigenen Umgang mit der Barrierefreiheit dar und nennt einen Ansprechpartner bei Problemen. Ratsam ist auch ein Feedbackmechanismus auf der Website, über den Nutzer auf potenzielle Barrieren hinweisen können.
Unternehmen, die ihren Onlineshop schnell barrierefrei gestalten möchten, und auch diejenigen, die derzeit einen neuen Shop einrichten, sollten zuvorderst folgende Aspekte berücksichtigen:
- Tastaturnavigation sicherstellen: Die vollständige Bedienbarkeit der Website über die Tastatur ist eine der grundlegenden Anforderungen. Dies bedeutet, dass alle interaktiven Elemente wie Menüs, Buttons oder Formulare über Tastaturkürzel erreichbar und bedienbar sein müssen.
- Alternativtexte für Bilder und Videos hinzufügen: Visuelle Inhalte sollten mit klaren und präzisen Alternativtexten versehen werden, um die Barrierefreiheit für Screenreader-Nutzer zu gewährleisten. Dies ist eine schnelle Maßnahme mit großem Nutzen.
- Farbkontraste verbessern: Eine sofortige Erhöhung des Farbkontrasts zwischen Texten und Hintergründen verbessert die Lesbarkeit erheblich. Entsprechende Tools wie der Color Contrast Checker helfen dabei, die Kontrastwerte zu überprüfen.
- Multimediale Inhalte zugänglich machen: Videos und Audiodateien sollten, wo immer es möglich ist, mit Untertiteln oder Transkriptionen versehen werden, um sie für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen zugänglich zu machen.
Im Unternehmen selbst müssen entsprechende Rollen und Zuständigkeiten zugeteilt, Deadlines festgeschrieben und Mitarbeiter geschult werden. Verantwortlichkeiten, Prozesse und Abläufe müssen klar definiert sein.
Barrierefreiheit ist eine dauerhafte Aufgabe
Prioritäten setzen heißt für Unternehmer, zunächst die einfach umzusetzenden Maßnahmen anzugehen, die den größten unmittelbaren Effekt auf die Barrierefreiheit haben. Dabei sollten die – für das Einkaufen im Onlineshop – funktional wichtigsten Elemente bzw. Seiten bevorzugt umgesetzt werden. Langfristigere Maßnahmen, wie die vollständige Überarbeitung der Website-Struktur oder die Implementierung von Assistenztechnologien, können im nächsten Schritt folgen.
Die Umsetzung der Anforderungen des BFSG ist kein einmaliger Prozess, sondern eine kontinuierliche Aufgabe. Regelmäßige Tests und ein offener Feedbackkanal helfen dabei, die Barrierefreiheit kontinuierlich zu verbessern. So können die rechtlichen Vorgaben / Standards des BFSG auch nach zukünftigen Updates und Änderungen fristgerecht erfüllt werden. Ein Wartungsplan mit klaren Terminen und Aufgaben ist für die langfristige Organisation der Barrierefreiheit eine grundlegende Voraussetzung.
Vielen Unternehmen mag der Prozess zunächst als unbezwingbare Herausforderung erscheinen, doch er birgt zugleich große Chancen. Die Optimierung der Barrierefreiheit trägt dazu bei, die Benutzerfreundlichkeit für alle Kunden zu verbessern und neue Zielgruppen zu erschließen; sie steigert Kundenzufriedenheit und Umsatz. Und wer Schritt für Schritt vorgeht, ist im kommenden Jahr für den Gesetzesstart und für nachfolgende Änderungen gut gerüstet.
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