Ein barrierefreier Shop wird zur Pflicht für jeden Onlinehändler. Viele kümmert das noch zu wenig. Höchste Zeit für Compliance-Beauftragte, mit ihren Chefs Tacheles zu reden. Ansonsten drohen Strafen, denn der Ernstfall tritt schneller ein, als viele denken. Eva Behling, Rechtsanwältin beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel, erklärt warum und zeigt praxisnah, wie Onlineshops konform werden.
Die Schludrigkeit der Branche beim Thema Barrierefreiheit erinnert schon jetzt an die Einführung der DSGVO. Auch damals ließen sich viele Shopbetreiber Zeit, bis es fast zu spät war. Als man sich kurz vor Schluss fortbilden und sensibilisieren lassen wollte, waren Recht- und IT-Beauftragte oft überlastet. Dabei sind die Strafen beim Datenschutzrecht nicht zimperlich. Viele Shops bekamen das später zu spüren.
Die Geschichte könnte sich in ähnlicher Weise wiederholen. Bereits 2019 hat die EU den Accessibility Act verabschiedet, den der deutsche Gesetzgeber 2021 in dem Barrierefreiheits-stärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt hat. Das BFSG betrifft insbesondere auch Onlinehändler. Die Verpflichtungen zur Barrierefreiheit ergeben sich aus § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG und treten am 28. Juni 2025 in Kraft. „Reichlich Zeit“, könnte man denken, dabei sind viele der neuen Regeln umfassend und die Umsetzung auch diesmal mit erheblichen Aufwänden verbunden.

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Mit steigendem Alter nehmen körperliche Gebrechen wie Seheinschränkungen zu. Onlinehändler sind gut beraten, diese Kundengruppe nicht außer Acht zu lassen.
Im schlimmsten Fall droht die Abschaltung
Onlinehändler sollten deshalb frühzeitig handeln, denn milde aufgelegt ist der Gesetzgeber auch diesmal nicht. Ist die Webseite nicht barrierefrei, können Verbraucherschützer bei der Marktüberwachungsbehörde beantragen, ihn nach Vorgaben von § 28 BFSG zu überprüfen. Die Marktüberwachungsbehörden nehmen Onlineshops aber auch unabhängig von einer konkreten Beschwerde regelmäßig unter die Lupe. Stellt die Aufsichtsbehörde fest, dass eine Webseite nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht, fordert sie Korrekturmaßnahmen.
Es gilt die „Three-Strikes-Regel“: Reagieren Shopbetreiber auch bei einer weiteren Nachfrist nicht, können Behörden den Onlineshop schließlich einstellen. Darüber hinaus haben Verbraucher die Möglichkeit, bei einer Schlichtungsstelle nach § 16 Abs. 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens zu stellen, § 34 BFSG. Dabei kann die Marktüberwachungsbehörde ebenfalls auf Antrag des Verbrauchers hinzugezogen werden.
Wer ist betroffen?
Zur Barrierefreiheit verpflichtet sind alle Webshop-Betreiber. Eine Ausnahme sieht § 3 Abs. 3 BFSG lediglich für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern vor. Grundsätzlich arbeitet die Aufsichtsbehörde aber daran, auch diese Kleinstunternehmen zu ermutigen, ihren Internetauftritt anzupassen.
Gemäß § 1 Abs. 3 BFSG gilt das Gesetz nur für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, die für Verbraucher erbracht werden. Demnach fallen reine B2B-Webshops nicht in den Anwendungsbereich des BFSG.
Wann ist ein Shop „barrierefrei“?
Das ist der komplizierte Teil: Das BFSG definiert die Barrierefreiheit von Dienstleistungen wie folgt: „Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ Demnach sind Shops barrierefrei, wenn Informationen
- über mehr als ein Sinnesorgan wahrgenommen werden können,
- für die Verbraucher auffindbar sind,
- in verständlicher Weise dargestellt werden,
- in Textformaten zur Verfügung gestellt werden, die von Assistenzsoftware genutzt werden können,
- in einer angemessen großen Schriftart, unter Berücksichtigung des Nutzungskontexts und mit ausreichendem Kontrast sowie ausreichenden Abständen zwischen den Buchstaben, Zeilen und Absätzen dargestellt werden,
- sie andernfalls eine alternative Darstellung des Inhalts bieten, wenn Elemente keine Texte sind,
- sie konsistent, bedienbar und verständlich gestaltet werden.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat einen weltweit anerkannten Standard entwickelt, der vorgibt, welche Kriterien ein barrierefreier Onlineshop erfüllen soll, die sogenannten „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG 2.1). Diese Leitlinien wurden vom „World Wide Web Consortium“ (W3C) entwickelt und können hier aufgerufen werden. Einen Verweis auf diese konkreten technischen Standards sieht das BFSG nicht vor, jedoch enthält § 4 BFSG eine Vermutungsregelung, die sich auf die WCAG und die DIN EN 301 549 bezieht.
Was bedeuten Accessibility und Usability?
Barrierefreier Zugang heißt gute Programmierung. So sollten Onlineshops kompatibel mit gängigen Screenreadern sein. Viele sehbeeinträchtigte Verbraucher verwenden diese Screenreader, um sich im Internet zurecht zu finden und durch den Internetauftritt zu navigieren. In manchen Browsern sind sie bereits eingebunden, andere werden als eigenständige Software angeboten. Onlinehändler müssen sicherstellen, dass ihre Webseite von solchen Screenreadern gelesen werden können.
Als grober Leitfaden hilft das „Zwei-Sinne-Prinzip“ – alle Inhalte auf der Webseite sollten über zwei Sinne wahrgenommen werden können. Mit diesem Prinzip werden circa 80% der Barrierefreiheitsprobleme bereits gelöst.
Gute Usability wird geleitet durch eine gute Seiten- und Navigationsstruktur. Dabei geht es immer darum, den Kunden – auch unabhängig von ihren Fähigkeiten – erkennbare und sinnvolle Wege anzubieten. Klar gestaltete Seiten, gut lesbare Schriftarten und eine ausreichend große Basisschrift verbessern die Usability nicht nur für Menschen mit Behinderung.
Wie werden Produktangebote barrierefrei?
Ist die Produktbeschreibung bereits ausführlich gestaltet, ist es nicht erforderlich, alle Informationen noch einmal als Alternativtext bei den einzelnen Produktbildern zu hinterlegen. Gleichwohl sollten die Fotos einen kurzen, prägnanten Titel bekommen (beispielsweise „Hose von vorne“, „Hose von hinten“, „Detailaufnahme“). Dies kann hilfreich sein, wenn betroffene Personen Fotos von einem interessanten Produkt an sehende Freunde weiterleiten möchten.
Generation 60plus: Onlineshoppen ist das neue Normal

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Der Anteil der Mehrfachkäufer (>1 Kauf in den vergangenen sieben Tagen) unter Verbrauchern älter als 60 Jahre hat sich von 16,1 Prozent im Jahr 2017 auf mehr als 36,8 Prozent im Jahr 2022 erhöht.
Ob die Produktbeschreibung ausführlich genug ist, kann man einfach kontrollieren: Lesen Sie sich die Produktbeschreibung durch und versuchen Sie sich dann ein Bild von dem Produkt zu machen. Entspricht das Bild, das Sie sich gemacht haben, dem echten Produkt? Dies kann bei einigen Produkten einfacher sein, bei anderen hingegen etwas aufwendiger (man denke nur an farbenfrohe Sneaker).
Muss auch der Kundenservice barrierefrei sein?
Das BFSG bezieht sich nur auf den barrierefreien Telemediendienst, also den Internetauftritt. Darüber hinaus besagt § 12 BFSGV, dass für den Fall, dass ein Kundenservice über zum Beispiel Help-Desks oder Call-Center verfügbar ist, auch dieser Kundenservice darüber informieren können muss, ob der Onlineshop barrierefrei ist und wie er mit assistiven Technologien bedient werden kann.
Cookies: Wie werden Consent-Banner barrierefrei?
Um einen Consent-Banner rechtskonform einzurichten, sollte er auch für blinde und sehbehinderte Menschen gleich als Erstes wahrgenommen werden können (ggf. über Assistenz-Software). Dafür muss der Fokus direkt auf den Cookie-Banner gelegt werden, er sollte nicht erst im Navigationsverlauf erscheinen.
Darüber hinaus sollte auf Anglizismen („Accept all“) verzichtet werden, da diese vom Screenreader nicht richtig vorgelesen werden können und auch nicht den Anforderungen an ein verständliches Angebot für kognitiv eingeschränkte Personen entsprechen.
Apps und Verkauf über soziale Medien
Da Mobile-Commerce immer beliebter wird (Bestellungen über smarte Endgeräte haben sich seit 2017 nahezu verdoppelt), müssen auch Dienstleistungen per Apps im elektronischen Geschäftsverkehr berücksichtigt werden. Auch hier müssen Bilder über Alt-Texte zugänglich gemacht und Untertitel für Videos erstellt werden. Internet-Redakteure müssen darauf achten, so einfach und verständlich wie möglich zu schreiben.
Was ist mit dem Datenschutz?
Bindet der Onlineshop eine besondere Barrierefreiheitsfunktion ein und nimmt ein Nutzer diese in Anspruch, werden diese Informationen (dass jemand eingeschränkt ist) beim Shopbetreiber gespeichert. Gesundheitsbezogene Daten wie dazu, ob jemand eine Rot-Grün-Sehschwäche hat, sind aber sensible Daten nach Art. 9 DSGVO und dürfen nur in besonderen Fällen verarbeitet werden.
Wenn der Onlineshop also Funktionen umfasst, die der Barrierefreiheit dienen, muss mindestens eine Bedienungsform vorhanden sein, mit der der Datenschutz des Nutzers bei Verwendung dieser Barrierefreiheitsfunktionen gewahrt ist.
Es lohnt sich anzufangen
Schätzungen der WHO zufolge sind allein in Deutschland 1,2 Millionen Menschen auf barrierefreie Angebote angewiesen. Damit bietet ein barrierefreier Onlineshop eine gute Möglichkeit, die Zielgruppe zu erweitern.
Ein weiterer und nicht zu verachtender Vorteil: Barrierefreie Internetauftritte sind besonders suchmaschinenfreundlich. Google bewertet zwar nicht die Barrierefreiheit an sich; barrierefreie Designs werden dank ihrer maschinenlesbaren Inhalte aber besser gefunden. Außerdem profitieren auch Menschen mit langsamem Internet oder älteren Browsern von barrierearmen Internetauftritten, da sie in der Regel kürzere Ladezeiten haben.