Am 16.April 2024 traf sich in Frankfurt zum zweiten Mal die Marketing- und Mediaszene auf dem Retail Media Day der Lebensmittel Zeitung. Etailment-Experte Markus Caspari war vor Ort und fasst die wichtigsten Thesen und Diskussionsthemen zusammen.
Den Auftakt bildete die Keynote von Daniel Knapp, dem Chef-Ökonom des IAB Europe, mit einem Update zum Thema Retail-Media. Zunächst ordnete er Retail-Media in die großen ökonomischen Rahmenbedingungen wie z.B. Polykrise, Pandemie und Kriege ein. Zudem zeigte er den historischen Kontext von ökonomischen Trends mit der Varianz von Werbeausgaben auf.
Werbeinvestments korrelieren, so Knapp, stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere dann, wenn man nur „nicht-digitale Ausgaben“ analysiert. Betrachtet man die Werbespendings jedoch holistisch, d.h. inklusive der digitalen Kanäle, so ergibt sich ein etwas anderes Bild. Denn dann zahlen nicht nur Faktoren wie das Wirtschaftswachstum auf die Budgethöhen ein, sondern insbesondere Themen wie Messbarkeit. Darin sieht Knapp wiederum große Potenziale für Retail-Media.

© Markus Caspari
Der Retail Media Day hat sich schon im zweiten Jahr als fester Branchentermin für Marketingfachleute etabliert.
Digitale Werbeausgaben hängen weniger stark am Wirtschaftswachstum
Die Analyse von Quartalsergebnissen und den darin enthaltenen Aussagen zu den Mediabudgets großer Werbetreibender wie Mondelez, Beiersdorf, Coca Cola und Booking.com bestätigen die Aussage: Digitale Spendings korrelieren weniger stark mit dem Wirtschaftswachstum als nicht-digitale Mediabudgets.
Für die Analyse der Wachstumsraten im Bereich Retail-Media wurden die Zahlen des IAB Europe mit und ohne den Marktführer Amazon Advertising betrachtet. Interessant war auch die Beobachtung, dass Retail-Media im Verhältnis zum E-Commerce-Markt sogar noch stärker wächst.
In Bezug auf Europa wurde festgestellt, das die USA in Sachen Kooperationen bei Retail-Media wieder eine Vorreiterstellung eingenommen haben und vieles bereits Standard ist, was in Europa noch in den Kinderschuhen steckt. Anhand der Marktbeispiele Frankreich und Polen zeigte der Ökonom Knapp auf, dass das Wachstum 2023 sogar stärker war als prognostiziert. Programmatische Werbung werde von Advertisern zudem nicht mehr als Silo betrachtet, sondern inzwischen sei dieser Teil der Werbung bereits integraler Bestandteil der digitalen Transformation. Genau in diese Transformation müsse Retail-Media erst noch hineinwachsen, sagte Knapp.
Weitere Aspekte in seinem Vortrag waren:
- Retail-Media habe relativ hohe CPMs, aber die empirische Validierung dafür fehle weiterhin.
- Skalierbare Modelle für Retail-Media sind am Wachsen.
- Vorstellung eines Venture Capital Fund, der sich auf „Global Grocery Retail“ spezialisiert hat
- Geschäftsmodell Retail-Media: Evolution in den Businessmodellen zwischen Händlern und Herstellern
Verbraucherverständnis und Opportunitätskosten
Direkt im Anschluss folgte ein Impulsvortrag von Dörthe Jans (YouGov) und Martin Schlottmann (Consumer Panel Services GfK). Sie referierten u.a. zu Markenwechseleffekten bei Retail-Media-Kampagnen. Dazu wurde das Kaufverhalten vor und nach dem Kauf analysiert. Den größten Effekt hatte die Werbung dabei im Bereich „Brand Expansion“, bei dem sich die Ausgaben pro Käufer anschließend verdoppelten.
Jürgen Schröcker, Berater und ehemals Vorstand bei Hornbach, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit Retail-Media-Opportunitätskosten aus Händlerperspektive. Opportunitätskosten bedeutet in seinem Kontext Werbung von Dritten, die der Händler auf seinem Inventar anbietet, welches dann nicht mehr für die Eigenwerbung zur Verfügung steht (z.B. Stelen im Eingangsbereich oder Aufsteller).
Schröcker evaluierte diese Werbeflächennutzung im Hinblick auf „Handelseigenwerbung vs. Werbung für Dritte“ und stellte die Frage, ob Händler ggf. besser auf diese Werbeerlöse verzichten sollten und stattdessen auf die eigene Wertigkeit als Händler einzahlen sollten. Er appellierte, man solle die traditionellen Eckpfeiler für den Einzelhandel, trotz aller Retail-Media-Euphorie, nicht außer Acht lassen.
„Das Rad bei den Konsumenten nicht überdrehen“
Anschließend folgte eine Gesprächsrunde mit Thorsten Decker (Omnicom Media Group), Jürgen Schröcker und Tatjana Zeitel (Douglas Marketing Solutions). Einige interessante Aussagen und Themen dieser Diskussionsrunde waren unter anderem:
- Die Größe des Douglas-Retail-Media-Teams liegt aktuell bei ungefähr 35 Personen.
- Die Retail-Media-Umsätze bei Douglas seien zu 100% inkrementell, zumindest bezogen auf den endemischen Bereich.
- Thorsten Decker betonte die Wichtigkeit der Attribution bei Retail-Media. Zudem müsse man aufpassen, das „Rad bei Retail-Media bei den Konsumenten nicht zu überdrehen“ (im Kontext von Instore-Retail-Media wohlgemerkt)
- Welche Rolle spielt der Instore-Traffic, wie wichtig ist was am POS passiert? Welche Pain-Points gibt es bei der Verknüpfung von On- und Offline?
- Douglas sei im Bereich der Verknüpfung von On- und Offline in Bezug auf Retail-Media noch in der Evaluierungsphase, Obi und Rewe seien da bereits einen Schritt weiter, da es bei Douglas noch kein Instore-Retail-Media-Angebot gebe.
- Was den Durchbruch von Retail-Media angeht, so benötigt es Zeit, weitere Standardisierungen vorzunehmen. Zudem müssten noch andere Unternehmensbereiche mitgenommen werden – und es braucht dazu die Unterstützung der Geschäftsführung.
- Ferner sei es essenziell, Mut zum Testen zu haben; man dürfe nicht nur auf Standards warten, weil es dann ggf. zu spät ist. Und: Retail-Media ist nicht für jede Marke das Richtige.
Instore-Retail-Media, Coupon-Reichweiten und Orchestrierung
Anthony Worssam (Dunnhumby) zeigte Zahlen von Tesco mit der Werbewirkung am Point-of-Sale und erläuterte Erfolgsfaktoren für Digital Signage, die im Wesentlichen aus Content, Location und Data bestünden. Weiterhin betonte er die Bedeutung von „Store-Analytics“ und zeigte verschiedene Anbieter dafür.
Qais Kasem, Mitgründer bei Murmuras, erforscht Konsumverhalten anhand von digitalen Daten mit Retail-App-Analysen. Grundlage ist ein Panel mit 3.000 Teilnehmern. Er stellte Ergebnisse einer Studie zur Coupon- und Feature-Nutzung der gängigen Händler-Apps in Deutschland vor. Damit erzeugte er eine Transparenz, die eventuell nicht jeder Marktteilnehmer begrüßt. Für Werbekunden sind die Ergebnisse sehr spannend, denn sie zeigten die Reichweite von Coupons bei Drogerien und Lebensmittelhändlern.
Im Ergebnis stand eine Coupon-Kategorisierung nach Reichweite, d.h. wie viele Coupons in % eines Händlers haben welche Reichweiten-Shares – mit verblüffenden Erkenntnissen. Die App von Lidl Plus war hier die erfolgreichste App, die Edeka App war besonders stark personalisiert. Grundsätzlich wurde auch die Korrelation bei den untersuchten Coupons in Bezug auf die Eigenmarken der Händler analysiert. Katrin Spahn (Acardo) griff ebenfalls das Thema Coupons auf und zeigte eine Fallstudie am Beispiel der Drogeriemarktkette Müller im Hinblick auf die Orchestrierung von Coupons, bei der ihr Arbeitgeber die genaue Aussteuerung der Touchpoints und Prozesse übernahm.
Herkunft der Retail-Media-Budgets
Christian Raveaux (Rewe) beschäftige sich in seiner Präsentation über datengetriebenes Marketing mit der Herkunft von Retail-Media-Budgets und damit, wie sich Retail-Media weiterentwickeln kann. Für Rewe seien standardisierte Prinzipien und Metriken wichtig, daher unterstütze das Unternehmen grundsätzlich die Initiativen von IAB und OWM – mit Ausnahme des Wunsches, ein System über alle Händler hinweg haben zu wollen.
Ferner zeigte Raveaux Best Practices von Retail-Media mit Rewe im Bereich Instore mit Beispielen von der Deutschen Telekom und Polestar. Polestar könne mit Retail-Media bei Rewe instore hochwertige Zielgruppen in der Nähe seiner Showrooms erreichen. Die Deutsche Telekom könne beispielsweise für den Glasfaserausbau sehr regional mit genauem Targeting werben.
Retail-Media-Pain-Points
In einer zweiten Talkrunde sprachen Prisca Jansche (Eckes-Granini), Nina Ascheron-Polter (Bonial & Stellvertretende Vorsitzende der Fokusgruppe Retail-Media-Ecosystem im BVDW) sowie Julian Altmann (Diageo) über Pain-Points im Bereich Retail-Media. Prisca Jansche äußerte sich dazu aus der Perspektive eines FMCG-Werbetreibenden. Aus Sicht von Julian Altman hat Amazon definitiv einen Vorsprung bei Retail-Media auch und gerade, wenn man sich die aktuellen Entwicklungen bei Amazon Prime Video anschaut.
Nina Ascheron-Polter verteidigte die Marktteilnehmer aus Deutschland und sprach über das Selbstbild von Bonial als Vermarkter. Dazu merkte sie an, dass trotz voranschreitender Digitalisierung immer noch etwa 85% der Einkäufe im Lebensmittelsektor stationär stattfinden. Rouven Aretz (Payback) sieht sein Unternehmen ebenfalls als Retail-Media-Aggregator und referierte über ein Nestlé-Purina-Fallbeispiel. Patricia Grundmann (OBI First Media Group) stellte einen interessanten Case mit Weber Spirit Grills vor.
Véronique Franzen (Publicis Media) und Tanguy Le Falher (Unlimitail) sprachen über den Erfolg des französischen Einzelhandelsriesen Carrefour und dessen Retail-Media-Ambitionen. Sie identifizierten dazu die Carrefour-Erfolgsfaktoren wie z.B. die technologische Infrastruktur und eine klare Trennung zwischen Trade-Marketing und Retail-Media sowie die Nutzung bzw. Maximierung von Datenpotenzialen. Ingrid Hochwind (Capgemini) referierte u.a. über die Aufbauphase des Retail-Media-Business von Walmart. Der amerikanische Handelsriese habe vor allem verstanden, dass die Basis von Retail-Media die Konsumentendaten sind.

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Resümee und Ausblick
Ingo Rentz, Redakteur und Moderator des Retail-Media-Days, sieht 2024 als Schlüsseljahr für Retail-Media und hält auch eine anstehende Konsolidierung für angezeigt. Ferner sollte bei allem Fokus auf Daten die Kreativität nicht vergessen werden. Co-Moderator Manfred Stockburger betonte die „Bottom-Line“: Es sei wichtig auf das zu schauen, was Retail-Media letztendlich in der Gewinn- und Verlustrechnung der Marktteilnehmer bewegt.
Der Retail-Media-Day war inspirierend und hat sich nach bereits zwei Veranstaltungen fest in der Marketing- und Mediaszene etabliert. Beim Thema Standardisierung herrschte unter allen Marktteilnehmern überwiegend Einigkeit darüber, das hier weiterhin noch Handlungsbedarf besteht.
Ich persönlich würde mir sowohl bei der Verbandsarbeit als auch im Rahmen von Kongressen zu Retail-Media ein stärkeres Engagement von Amazon Advertising wünschen – denn als deutlicher Marktführer in diesem Bereich wäre das angezeigt. Stattdessen scheint der Platzhirsch die Diskussionen und Interpretationen lieber den Marktbegleitern zu überlassen. Weiterhin besteht in der Retail-Media-Szene großer Optimismus bezüglich der künftigen Wachstumsraten. Und ein Ende des Hypes – wenn es denn überhaupt einer ist – ist nicht in Sicht.