Die Digitalbranche steht vor einem gewaltigen nächsten Schritt: Web3 und Metaverse sind in aller Munde. Unternehmen wie Adidas, Audi, Vans und Ferrari und auch Coca-Cola und Gillette haben sich bereits als Early Adopter positioniert und machen Angebote in der immersiven Parallelwelt. Marketing-Profi Matthias Wirges erklärt in diesem Deep Dive, wie Shopper Marketing in 3D und im Metaverse funktioniert.
Einige der Player wie Adidas, Audi und Co waren schon 2007 ganz vorne mit dabei und hatten virtuelle Stores und Produkte im „Second Life“, dem ersten Metaverse überhaupt, aufgebaut. Ich war damals selbst elektrisiert und wollte die Agentur fit machen für das Shopper Marketing in Second Life. Doch bevor es relevant wurde, war der Hype schon wieder vorbei und statt virtueller Stores haben wir weiter den stationären Handel im Fokus behalten.
Nun, 15 Jahre später, geht es wieder los und ich denke, diesmal könnte es anders ausgehen. McKinsey kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass das Metaverse das Potenzial hat, die nächste Ausprägungsstufe des Internets zu werden: „There continue to be questions around the longevity and potential of the metaverse, with an extreme view regarding it as merely a rebranded gaming platform of little wider interest. We do not share that scepticism and believe the metaverse has the potential to be the next iteration of the internet. It may seamlessly combine our digital and physical lives by featuring a sense of immersion, real-time interactivity, user agency, interoperability across platforms and devices, the ability for thousands of people to interact simultaneously, and use cases spanning activities well beyond gaming.”
Und auch beim Teaser zum zugehörigen Report gehen die McKinsey-Leute aufs Ganze und attestieren ein „potential to generate up to $5 trillion in value by 2030“. Halleluja! Fünf Billionen Dollar sind eine Ansage – stellt sich die Frage, wie im Metaverse eigentlich Geld verdient wird. Auch das hat McKinsey untersucht und herausgefunden, dass 79 Prozent der Consumer im Metaverse schon einmal geshoppt haben und neben In-Games (Spielzubehör, 47 %) und virtuellen Kosmetikprodukten (39 %) bereits 33 Prozent „Real-World-Items“ gekauft haben. Obschon es bei der großen Mehrzahl an Käufen derzeit noch um die Verbesserung des Spielerlebnisses und Benefits in Spielen geht, darf das als Momentaufnahme betrachtet werden: Das Metaverse konnte die Lebenswelt so verändern, wie das Internet sie verändert hat, und wenn das auch nur annähernd so sein wird, dann dürfen wir uns auf spannende Zeiten freuen!

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79 Prozent der Consumer im Metaverse haben schon einmal dort geshoppt und neben In-Games (Spielzubehör, 47 %) und virtuellen Kosmetikprodukten (39 %) bereits 33 Prozent „Real-World-Items“ gekauft.
Ich bin kein Digital- und auch kein Metaverse-Experte; dementsprechend geht es im Folgenden auch nicht um NFT, Blockchain-Technologie, Coins, Token oder Fragen der Hardware. Ich möchte Sie vielmehr einladen, mit mir durch die (VR-)Brille des Sales Developments auf das Thema zu schauen. Was mich schon immer fasziniert hat, war die Chance, unser analoges Know-how im Shopper Marketing und Category Management auf das digitale Universum anwenden zu können. Was unsere physische Welt und die virtuelle Welt verbindet, ist die Dreidimensionalität und hier sind wir die Shopping-Experten.
So rufe ich allen Shopper & Customer-Marketing-Agenturen und -Abteilungen zu: Lasst uns die Shopping-Experience der Zukunft gestalten und das Feld nicht den Digital-Kolleg:innen überlassen, die zwar Ahnung von der Technik, aber keine Ahnung von Shopper Insights haben. So, gleich mal wieder unbescheiden einen rausgehauen!
Vielleicht sollten wir einen Merchandising-Shop eröffnen, in dem es T-Shirts und Hoodies gibt mit Aufdrucken wie „Das Metaverse gehört den Shopper Marketeers“. Am Text arbeite ich noch. Aber Spaß beiseite – worauf will ich hier hinaus?
These 1: Das heutige Onlineshopping ist nur auf schnelle Suchtreffer ausgelegt
Gehen wir noch einmal zurück zur TM-Managerin Sophia: Sie möchte eine weiße Bluse kaufen und steuert zu diesem Zwecke Zalando (oder einen anderen Online-Anbieter) an. Hier stellt sie verschiedene Suchparameter ein, wie ihre Größe, die Preisspanne und ihre Lieblingsmarken; kurz darauf werden ihr die Suchergebnisse angezeigt. Es sind mehr als 3000 weiße Blusen in ihrer Größe verfügbar. Nun beginnt Sophia durch die schier endlose Anzahl an Ergebnissen zu scrollen. Was denken Sie: Wie viele der 41 Seiten mit Suchergebnissen wird sie sich anschauen? Zwei, drei vielleicht? Ich denke, der Vorgang wird sie ziemlich schnell ermüden und auch wenig beglücken, denn so eine Suche ist doch auf Schnelligkeit und einen raschen Kaufabschluss angelegt. Die vermeintlich besten Treffer werden zuerst angezeigt und es besteht überhaupt kein Anreiz tiefer einzutauchen. Schließlich haben wir gelernt, dass die Suchergebnisse immer weniger passend sind, je weiter man scrollt.

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Die Produktsuche der Konsumenten ist auf Schnelligkeit und einen raschen Kaufabschluss angelegt
Nachdem Sophia ihre Bluse bestellt hat, geht sie zu Rewe und stellt sich ihren Einkauf zusammen. Auf der Website werden ihr zunächst 15 Kategorien in der Übersicht gezeigt: „Obst & Gemüse“, „Frische & Kühlung“, „Tiefkühlung“ usw. Sie startet im Bereich „Frische & Kühlung“. Innerhalb der Kategorie stehen in einem Untermenü drei Subkategorien zur Wahl: „Butter & Brotaufstriche“, „Margarine, Butter & Fett“ sowie „Brotaufstriche & Dips“. An dieser Stelle stutzt Sophia, denn der Sinn dieser Aufteilung ist ihr nicht klar. Soll sie nun in „Butter & Brotaufstriche“ nach Butter suchen oder in „Margarine, Butter & Fett“? Sie entscheidet sich für „Butter & Brotaufstriche“, wo ihr in der Standardeinstellung 40 Suchergebnisse angezeigt werden. Die erste Zeile beinhaltet zwei Buttersorten, zwei gesponserte Anzeigen für vegane Brotaufstriche und eine Sour Cream.
Das kommt ihr ziemlich unstrukturiert vor und so entscheidet sie sich, lieber über das Suchfeld zu navigieren. Sie gibt „Butter“ ein und erhalt 40 neue Treffer, die normale Butter, aber auch Erdnussbutter, Butterkekse, Butterblätter und Shortbread enthalten. Auf Seite 2 folgen weitere Keksvarianten sowie Butter-Chicken, Peanut-Butter-Eis, Buttertoast, Butterhörnchen, Buttermilch… Auch bei Rewe macht Sophia das Shoppen wenig Spaß. Es ist weder intuitiv noch spielerisch. Ein nüchternes Geklicke, verbunden mit der Hoffnung, dass der Warenkorb schnell voll ist und sie an alles gedacht hat.
Beide Einkaufserlebnisse haben wenig Bezug zu ihrem Shopping-Verhalten in der „echten“ Welt. Die Orientierung innerhalb der Kategorie ist mangelhaft und alles, was Shopping zu einem sinnlichen Vorgang macht, ist nicht vorhanden. Natürlich ist es unfassbar praktisch, innerhalb von zehn Sekunden bei Amazon nicht nur die gesuchte Zahnbürste zu finden, sondern den Kauf sogar abgeschlossen zu haben. Aber ein Erlebnis sieht anders aus.
These 2: Das Online-Shopping der Zukunft bringt die natürliche 3D-Welt zurück
Auch heute schon wäre es möglich, Märkte in 3D abzubilden und die Logik der analogen Welt in ein digitales Abbild zu überfuhren. Das Onlineshopping folgt jedoch der Logik der Suchmaschinen und versprüht auch daher den nüchternen Charme einer Google-Suche. Ergebnisse werden mit möglichst wenig Datenvolumen möglichst schnell angezeigt. Im Hinblick darauf, dass im Jahr 2020 in einer Studie 57 Prozent der Befragten angaben, mit dem Smartphone zu shoppen, scheint das sinnvoll zu sein. Die meisten Menschen nutzten jedoch überraschenderweise am häufigsten einen Laptop zum Shoppen (62 %) und mehr als 40 Prozent der Befragten shoppten auch am stationären PC.

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Die meisten Menschen nutzen überraschenderweise am häufigsten einen Laptop zum Shoppen (62 %) und mehr als 40 Prozent shoppen auch am stationären PC
Es bietet sich also schon heute an, im Internet eine Parallelwelt aufzubauen und für Laptops, Desktop-Rechner oder Tablets ein spannenderes, dreidimensionales Einkaufserlebnis zu kreieren als für Smartphone-User. Das Metaverse ist in jedem Fall der ideale Treiber, um die dritte Dimension in naher Zukunft in das Onlineshopping zu holen.
Wenn wir etwas vereinfachend davon ausgehen, dass das Metaverse in der ersten Ausbaustufe mit virtueller Realität und dem Einsatz von VR-Brillen verbunden sein wird, schlägt hier die Stunde des „klassischen“ Shop-Designs, Shopper Marketings und Category Managements. In der virtuellen 3D-Welt wird es möglich sein, die Menschen bei ihren jahrzehntelang verinnerlichten Einkaufsritualen abzuholen. Wir leiten sie durch wunderschöne, hyperrealistische 3D-Markte, bei deren Erstellung es keine Rolle spielt, welches Material verbaut wird, welcher Boden sich am besten für den Einsatz von Putzmaschinen und Streusalz eignet und wie viel Strom die Beleuchtung verbraucht.
In der virtuellen 3D-Shopping-Welt können wir aus allen Rohren feuern, alle Kategorie- und Markenshop-Visionen realisieren und auf hinderliche Aspekte wie Flächenrentabilitat pfeifen. Wir können die Shopper mit den schönsten Illusionen verzaubern, denn Mietkosten und Auflagen vom Bauamt dürfte es nicht geben. Mit Fantasie können wir die Menschen begeistern und völlig neue Facetten des Shopper Marketings zum Leben erwecken. Wir können mit dem Medium spielen, Brand Activation und Gamification auf einem neuen Level zusammenführen und die Menschen dabei bestens unterhalten.
Wir können in der virtuellen Welt das Shopping zu einem Event machen und jeden Einkauf zu einem neuen Erlebnis. Nur ein paar Ideen, wie es sein könnte: Für verschiedene Zielgruppen stehen verschiedene Store-Designs in unterschiedlicher Form zur Wahl. Bei Interesse an bestimmten Themen tun sich erweiterte Welten mit einem Klick auf und alle Ebenen eines virtuellen, dreidimensionalen Erlebens (sehen, hören, bewegen, interagieren, kommunizieren) sind in das Shopping eingebunden. Diese neue Shopping-Welt und ihre Möglichkeiten könnten der Hammer werden! Ein Gamechanger – und die Virtualität bietet uns die Möglichkeit, all unsere Shopper Insights anzuwenden, ohne an Budget-Fesseln der realen Welt gebunden zu sein. Eine starre Kommunikation á la Papp-Display wird es im Metaverse nicht geben. Ich kann es kaum erwarten!
Das Thema ist riesig und wir können im Rahmen dieses Buches die vielen Aspekte des digitalen Shopper Marketings und des Metaverse nur anteasern. Doch es geht mir in erster Linie darum, Sie für die Themen zu sensibilisieren und zu begeistern. Lassen Sie uns nun schauen, wie heute schon im Kontext von Shopper Marketing, Shopper Research, Shop-Design und Category Management mit virtueller Realität gearbeitet wird.
Das Fachbuch So geht Shopper Marketing! von Matthias Wirges ist erhältlich über den dfv Fachbuchshop.

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So geht Shopper Marketing!