Eine Studie der Alibaba Group bescheinigt kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auch in Deutschland große Herausforderungen bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrategien. Im Interview erläutert Alibaba-Europa-Manager Karl Wehner, wo aus seiner Sicht der Schuh drückt.
Herr Wehner, die Alibaba-Studie ergab, dass vier von fünf europäischen Unternehmen exportieren, unter den KMUs sind es 77 Prozent. Dort heißt es auch, gleichzeitig stünden KMU bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien vor Herausforderungen. Wo drückt der Schuh?
Karl Wehner: Deutschland ist dafür bekannt, der ehemalige Export-Weltmeister zu sein. Der Schuh drückt, wo es um die Erschließung neuer Märkte durch digitale Lösungen geht. Denn in anderen Ländern zu verkaufen ist an sich nicht die Herausforderung, sondern: Wie schaffe ich das digital, wie erhalte ich Reichweite, wie stelle ich mein Angebot gut dar und bringe es zu den Kunden? Da stehen viele vor einer Steilwand und tun sich schwer, weil sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Vor allem Kleinstunternehmen haben an Bürokratie und sprachlichen Herausforderungen zu knabbern. Alibaba.com, unsere globale B-to-B-Beschaffungsplattform, stellt Tools zur Verfügung, die den Einstieg erleichtern.
Wie steht Deutschland in Ihrer Studie im Vergleich da?
Deutschland liegt in etwa auf einer Linie mit den Zahlen anderer europäischer Länder in der Studie, es gibt kleine Nuancen und Unterschiede. Uns fehlt ein bisschen die interkulturelle Kompetenz, um Nachfrage in internationalen Märkten zu generieren.
Alibaba sagt, Online-Marktplätze schlagen die Brücke zwischen Digitalisierung und Export. Ein Marktplatz-Auftritt allein reicht aber nicht und verschafft auch keine interkulturelle Kompetenz. Damit fängt die Arbeit erst an, oder?
Man muss sich mit seinen Zielmärkten und mit den Tools schon beschäftigen, völlig richtig. Es ist auch nicht damit getan, den Unternehmen einfach eine Software-Lösung hinzustellen. Sie brauchen Wegbegleiter, die auf der Account-Manager-Ebene sprechen können. Deswegen bietet zum Beispiel Alibaba.com Unterstützung beim Einstieg etwa ins Livestreaming, die automatische Übersetzung der Kommunikation zwischen Lieferanten und Einkäufern in 18 Sprachen und die Teilnahme an Kampagnen wie unserem „Super September“, dem größten B2B-Verkaufsevent des Jahres auf Alibaba.com und einer tollen Möglichkeit für KMU, den B2B-Marktplatz auszuprobieren.
Aber wenn KMU bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien vor Herausforderungen stehen, wie es in Ihrer Studie heißt – hat es dann Sinn, ihnen mit noch mehr Digitalisierung zu kommen?
Ja. 78 Prozent des Mittelstands sieht in der Digitalisierung ein Zukunftsthema und möchte mehr darüber lernen. Die Bereitschaft und das Interesse der Mitarbeiter sind da. Es ist halt schwierig, es abzurufen, wenn das Management das nicht vorlebt. Wir sehen oft, dass die Strategien fehlen, und dass es eine Herausforderung ist, die richtigen Fachkräfte zu gewinnen. Wenn aber die Strategie plausibel ist, dann ziehen die Mitarbeiter mit. Und wenn das Unternehmen Ressourcen spart, weil es zum Beispiel mit uns zusammenarbeitet, dann werden diese Ressourcen für andere Dinge frei, wo das Unternehmen intern an Effizienz gewinnt.
Alibaba sagt, vielen Unternehmen sei der Weg der Digitalisierung „schlicht zu lang und zu teuer“. Wie lang und teuer ist der Marktplatz-Weg für deutsche KMU?
Die Digitalisierung ist auch in diesem Bereich mit Investitionen verbunden, das sollte niemanden überraschen. Die Frage lautet: Was muss ich in die Hand nehmen, um auf klassischem Weg Marktanteile zu gewinnen? Mit einem Marktplatz vergleichbar wären zum Beispiel Messestände oder Anzeigen in Fachzeitschriften. Beides wäre zweifellos ein großer Aufwand. Das wird über einen Marktplatz wie Alibaba.com einfacher. Unser Monatsabo kostet einige hundert Euro im Monat, wir erheben keine Umsatzprovision. Dafür erhalten die Unternehmen eine Präsenz im Zielmarkt, das ist ein guter Anfang. Darüber hinaus richten sich die Kosten nach dem, was sie ins Marketing investieren möchten.
Der Blogpost zur Studie auf „Alizila“ nennt als Beispiele ausschließlich Händler, die nach China exportieren. Ist das der einzige Zielmarkt von Alibaba?
Nein! Alibaba hat viele Unternehmen nach China begleitet, aber weder die B-to-C-Plattformen von Alibaba noch unsere B-to-B-Plattform Alibaba.com sind auf China beschränkt. Wir möchten den digitalen Handel weltweit fördern. Auf Alibaba.com bringen wir mehr als 40 Millionen Einkäufer und 200.000 Verkäufer aus der ganzen Welt zusammen. Deutsche KMU finden hier auch Käufer in den USA, in Südostasien, Indien und Afrika. Deutschland ist für Alibaba.com ein sehr wichtiger Markt, sowohl für Käufer als auch für Verkäufer, daher haben wir seit Dezember 2022 ein B-to-B-Team in München, das gerade in größere Büros umgezogen ist.
Die Alibaba-Studie beschäftigt sich mit dem grenzüberschreitenden B-to-C- und B-to-B-Geschäft. Gilt Ihre Analyse der digitalen Herausforderungen auch für das B-to-B-Geschäft?
B-to-B ist vom Geschäftsmodell her nicht ganz vergleichbar, zum Beispiel sitzen Einkäufer nicht abends um 20 Uhr im Bett und wollen wissen, ob ein Produkt die Haut wirklich weicher macht (lacht). Aber es gibt auch hier Herausforderungen. Die Evolution des Handels etwa bringt es mit sich, dass B-to-C-Tools auch im B-to-B-Geschäft eine immer größere Rolle spielen. Jeder, der im Großhandel arbeitet, ist privat mit Smartphones unterwegs, die Software im Unternehmen kann da nicht mithalten. Diese Leute kennen oft die Tools und Marketing-Lösungen nicht. Dabei lässt sich ein B-to-C-Tool wie das Livestreaming zum Beispiel für einen Werksrundgang für Händler nutzen. Und Händler können mit ihren Lieferanten authentisch in den Dialog treten. Das gilt im Endkunden- wie im Geschäftskunden-Dialog: Authentizität ist wichtig.
Gibt es so etwas denn schon?
Ja, das nutzen wir mit Alibaba.com selbst. Wir arbeiten beispielsweise mit Messen wie der IFA, der ISPO oder der Automechanika zusammen. Wird auf der Messe zum Beispiel ein Nischenprodukt vor einer Hand voll Kunden vorgestellt, verfolgen es parallel im Livestream auf Alibaba.com weitere 4.000 oder 40.000 Interessenten.
À propos Messen: Alibaba.com war unter anderem auf der Automechanika und will erneut auf der IFA in Berlin (September) und auf der ISPO in München (November) ausstellen. Ihnen scheint es auf Messen zu gefallen – wie lautet die Bilanz Ihrer bisherigen Auftritte?
Wir erhalten dort sehr positives Feedback. Wir sind mit den Kooperationen sehr zufrieden, und die Hersteller, die mit uns dort waren, konnten ihre Reichweiten ausbauen. Messen sind nach wie vor wichtig, wir möchten uns nahbar und als Wegbegleiter zeigen und unsere Möglichkeiten demonstrieren. Wir beobachten, dass sich die Messen in Richtung hybride Ausstellung bewegen. Das ist genau unser Konzept.