Der Begriff Omnichannel wird häufig verwendet, um lediglich mehrere Touchpoints zu beschreiben. Am Ende geht es aber um ein holistisches Kundenerlebnis über alle Vertriebskanäle hinweg. Etailment-Experte Thomas Bausenwein plädiert dafür, dabei stärker die kritische Kundensicht in den Blick zu nehmen. Hier zeigen sich seiner Meinung nach bei den meisten Händlern Schwächen – sei es aufgrund von fehlenden Datenanbindungen, Silos in Daten und Organisation oder hohen Investitionskosten.
Noch ein Artikel über Omnichannel? Fangen wir vielleicht mit einem einfachen Beispiel ein: Ein Gemüsehändler verkauft Bananen im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt und neuerdings auch online. Der Satz aus der Überschrift kann dann vom Händler wie auch vom Kunden stammen. Aber sind beide auch happy, wenn es „überall nur Bananen“ gibt?
Der Händler auf jeden Fall. Sein Ziel ist es, auf allen Kanälen ein gleichförmiges Portfolio bei gleichbleibend perfektem Kundenerlebnis zu liefern – also überall perfekt präsentierte Bananen zu zeigen. Der Kunde hingegen sieht überall das gleiche Angebot, er findet also sowohl online als auch offline dieselben Bananen. Das ist bequem. Wenn der Kunden Bananen mag. Und genau hier fangen die Probleme an. Denn je nach Sichtweise wird der Begriff Omnichannel völlig unterschiedlich interpretiert.

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Onlinehandel mit Bananen ist sicher auch in Zukunft kein Erfolgsmodell. Aber durch Omnichannel kann ein Händler lernen, wer die besten Kunden für seine stationären Bananen sind, und Aktionsangebote gezielt platzieren.
Das Problem ist nämlich der erste Wortteil, der impliziert, dass der Händler überall gleich präsent ist, also einen Zugang über wirklich alle relevanten Kanäle bereitstellt. Alles andere wäre dann ja Multichannel. Da dieser Begriff aber in der Branche keine Relevanz mehr hat, muss jetzt der Omnichannel für alles herhalten. Auch wenn es nur darum geht, dass ein Händler lediglich mehrere Touchpoints anbietet.
Aus Kundensicht ist die Abgrenzung dann schon einfacher: Wenn der Kunde, egal auf welchem Weg, in Kontakt mit dem Verkäufer treten und möglichst bequem und einfach einen Kauf tätigen kann, dann hat sich das Omnichannel-Versprechen erfüllt. Dazu muss man aber seine Kunden kennen und sich als Händler mit ein paar weiteren kritischen Fragen auseinandersetzen.
Wo bleibt das holistische Kundenerlebnis?
Kommen wir wieder zur Banane, um aufzuzeigen, wie schwierig das ist. Nicht ohne Grund verharrt der Lebensmitteleinzelhandel immer noch bei 85% stationärem Umsatzanteil. Denn viele Produkte sind für den Ladentisch gemacht. Online drei Bananen anzubieten ist offensichtlich Murks. Auch die Lieferung der Banane in die nächste Filiale oder das Reservieren und Abholen ist eine theoretische Sackgasse.
Es geht darum, wie man Omnichannel-Salespotenziale nutzen kann. Also dem Kunden in seiner Bequemlichkeit helfen kann. Wie sieht diese Hilfe aus? Es ist eine Unterstützung, damit er das findet, was er sucht. Onlinebananen sicher nicht, aber in der Obst- und Gemüseabteilung wird da schnell ein Match daraus. Erfolgreich wird das Ganze erst dann, wenn ein Vertrauensverhältnis entsteht, das den Kunden überzeugt: „Hier komme ich leicht an leckere Bananen.“
Das Erlebnisversprechen ist somit für den Kunden wichtiger als die Bereitstellung eines „Jetzt kaufen“-Buttons auf Social Media. Denn der Kunde prüft den Händler oder die Marke schon mit dem ersten Kontakt. Funktioniert das Erlebnis ohne Unterbrechungen, also zwischen Devices, Desktop, Mobile und auch im Laden? Wie gut ist der Kundenservice? Der beginnt nämlich schon mit der Produktbeschreibung. Bezogen auf unser Beispiel: Das Erlebnis, dass ich online mit Videos, Bildern und Stories über mein Produkt erzählen kann, schlägt den POS um Längen.
Aus Kundensicht haben viele Omnichannel-Konzepte Schwächen
Auch wenn viele Händler gerade den Aspekt des unterbrechungsfreien Einkaufserlebnisses hoch priorisieren, der Kundenkontakt wird da nicht zu Ende gedacht. Auch wenn ich Produkte in der Filiale reservieren kann oder stationäres Sortiment nach Hause geliefert bekomme, ist der Bequemlichkeitsansatz für den Kunden entscheidend. Vor allem auch der Kundenservice, der nicht nur bei Reklamationen zum Einsatz kommen sollte, sondern auch im Bereich Beratung, FAQs, Chats und Community-Management bei Rezensionen und Kommentaren an der Seite der Kunden stehen sollte.

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Aber auch die Versanddauer, die Möglichkeit, Ware auszuprobieren oder bei teureren Produkten einen unverbindlichen Test (z.B. Probefahrt) zu vereinbaren, wirken sich auf die Aspekte Transparenz und Vertrauen aus. Denn Kunden sind sehr anspruchsvoll und wechseln den Händler, sobald das Einkaufserlebnis dort bequemer ist.
Online- und Offlinekanäle für unterschiedliche Zielgruppen
Was will der Händler mir als Kunde anbieten? Wenn das nicht klar ist, dann sind noch Hausaufgaben zu erledigen. Die Verknüpfung der Absatz- und Kommunikationskanäle ist hier oft der Kleister, der in der Praxis ein solides Omnichannel-Konzept erst richtig gut macht. Kundenfeedback, Daten aus Kampagnen und Website oder App, CRM-Insights und Kundenbefragungen sind wichtig – und, wenn all das noch qualitativ untermauert werden kann, ergibt sich eine Guideline, die ernst genommen werden sollte.
Dazu kommt noch die Harmonisierung des Auftritts, der Daten sowie der Ausrichtung auf die Zielrichtungen und KPIs. Welche Rolle spielt der Omnichannel für die gesamte Organisation? Es gibt eventuell auch bewusst gewählte Unterschiede zwischen dem Online- und Offline-Absatzkanal. Ein klares Ziel kann auch sein, dass eine Marke über die verschiedenen Kanäle unterschiedliche Kundengruppen anspricht.
Chancen für den Händler
Die langfristige Kundenbindung ist eine der größten Herausforderungen im digitalen Teil eines Omnichannel-Konzeptes, vor allem für Händler. Wenn es hier klappt, die Vorteile des stationären Kanals mit den Onlinekanälen zu verzahnen, reduzieren sich die Akquisitionskosten nachhaltig und Omnichannel trägt somit zur Umsatzsicherung bei.
Was das für die Banane bedeutet? Digital wird sie sicher nicht – aber durch Omnichannel weiß der Händler dann, wer die besten Kunden für seine stationären Bananen-Angebote sind. Diese kann er dann gezielt mit Aktionen und Angeboten versorgen. Vielleicht finden sie auch super, dass er nachhaltig produzierte Bananen verkauft und bauen so langfristiges Vertrauen auf.
Diese und weitere Chancen ergeben sich bei aller Komplexität dann für das gesamte Vertriebskonzept. Omnichannel ist ein Stresstest der Harmonisierbarkeit von Botschaften und echten Markenerlebnissen. Dann kann es klappen, dass die Kunden personalisierte Angebote über ihren Lieblingskanal erhalten. Und wenn es der Bananen-Gutschein auf dem Kassenbon ist. Vielleicht sogar für den Onlineshop. Auch das ist eine Perspektive, damit der Omnichannel nicht mit dem Bezahlvorgang aufhört. Auf jeden Fall nicht für den Kunden.