Geschäftsreisen führen den Online-Handel auch in gefährliche Weltgegenden. Wolfgang Hofmann von International SOS erklärt, wie sich Risiken minimieren lassen.
Herr Hofmann, sind Geschäftsreisen ins Ausland in den vergangenen Jahren unsicherer geworden?
Geschäftsreisen brauchen zumindest definitiv mehr Vorbereitung. Die gegenwärtigen Konflikte schicken Schockwellen in die Welt und verstärken bestehende Probleme auch über Entfernungen hinweg. Der Angriff Russlands auf die Ukraine drosselte zum Beispiel die Weizenexporte, das führte zu Weizenmangel in einigen afrikanischen Ländern und dort zu steigender Kriminalität– mit Folgen für Geschäftsreisende auch abseits des eigentlichen Krisenherds. Darauf müssen Sich Unternehmen einstellen.
Wie bereitet man sich richtig vor?
Geschäftsreisende müssen sich mit ihrem Ziel im Moment der Reise auseinandersetzen – der Kenntnisstand der jüngsten Reise vor fünf Jahren reicht nicht. Die Fragen lauten: Welche Risiken gibt es gegenwärtig an meinem Reiseziel, und wie stark betreffen sie mich? Der genaue Ort kann in einigen Ländern einen großen Unterschied bedeuten – Händler, die zu einem Produktionsstandort in die Provinz fahren und dort auch übernachten, haben mit anderen Risiken zu tun als Händler, die in der Hauptstadt bleiben.
Inwiefern spielen Äußerlichkeiten eine Rolle?
Das persönliche Profil ist sehr wichtig: Geschlecht, Aussehen, sichtbare Zeichen einer Religionszugehörigkeit und der sexuellen Orientierung können das Risiko für Reisende in einigen Ländern verstärken.
Was können Reisende tun?
Der Trick ist, das eigene Profil so weit zu reduzieren, dass keine Überfälle oder Repressalien drohen. Man kann zum Beispiel Business Class fliegen, sollte aber nicht nach Business Class aussehen, also auf teure Kleidung und Luxusuhren verzichten. Männer sollten Ohrringe herausnehmen, auch unverheiratete Frauen in vielen Gegenden der Welt einen Ehering tragen – es gibt Gesellschaften, in denen alleinstehende Frauen als nicht schützenswert gelten. Dazu empfiehlt es sich, Transfers vom und zum Flughafen zu organisieren, sichere Hotels zu buchen und abends nicht allein im Dunkeln auszugehen. Wer in Gebieten mit hohem Risiko so wenig Profil wie möglich zeigt, kann sicher reisen.
Lohnt es sich, die Geschäftspartner nach der Sicherheitslage zu fragen?
Ja, das ist legitim. Wir sehen aber oft, dass Geschäftspartner die Lage als gefahrlos einschätzen, und die Wirklichkeit stellt sich ganz anders dar. Das kann ein bewusstes Herunterspielen sein, oft aber sind ihnen die Risiken für Reisende in ihrer Heimat gar nicht bewusst.
Eine der beiden größten Krisenregionen ist zurzeit der Nahe Osten. Wie lauten Ihre Empfehlungen für Reisen nach Israel?
Im Moment raten wir ganz klar, alle Reisen nach Israel zu verschieben und nicht zwingend notwendiges Personal zu evakuieren. Das machen unsere Kunden auch gerade. Wenn sich die Lage beruhigt, können dringende Reisen wieder stattfinden.
Und der Libanon?
Für den Libanon gilt schon lange der Rat, Reisen auszusetzen. Wobei wir wissen, dass einige Nichtregierungsorganisationen dort trotzdem unterwegs sind.
Die Ukraine liegt näher an Deutschland, der Krieg dauert jetzt schon mehr als zweieinhalb Jahre. Hat sich ein Prozedere für sichere Geschäftsreisen eingependelt?
Ja, es gibt relativ klare Abläufe zum Beispiel für Geschäftsreisen nach Lwiw in der West-Ukraine, das recht gut besucht wird. Das umfasst die Abholung an der polnisch-ukrainischen Grenze und Regeln für die Kommunikation und funktioniert gut.
Aber auch für die Ukraine gilt: Es kommt auf den genauen Ort an, oder?
Wegen der Angriffe mit Langstreckenraketen ist es sehr schwierig, das Risiko für einzelne Orte abzuschätzen. Lwiw und Kiew sind mit Sicherheitsvorkehrungen bereisbar. Eins muss aber klar sein: Eine Reise in die Ukraine muss jederzeit abgebrochen werden können.
Kommt es in der Ukraine also weniger auf das Profil der Reisenden an?
Nicht so ausgeprägt, aber doch: Es gibt in der Ukraine gewalttätige Strömungen gegen LGBTQ+-Personen, das darf nicht außer Acht gelassen werden. Es ist gefährlich, wegen eines beherrschenden Risikos andere Risiken zu vernachlässigen. Während der Covid-19-Pandemie hatten alle nur Fragen zu Covid, anderes kam kaum noch vor.
Reisen deutsche Geschäftsleute noch nach Russland, oder haben die Sanktionen das zum Stillstand gebracht?
Aus dem Westen haben Reisen nach Russland stark nachgelassen. Wir bewerten Russland weiterhin als „Medium Risk“ und teilweise mit „High Risk“, jedoch können Angriffe der Ukraine auch tief in russischem Staatsgebiet erfolgen. Allerdings hat sich in Moskau und St. Petersburg das Risiko wenig verändert, und weite Teile Russlands sind nicht von klassischen Kriegsrisiken bedroht. Wir empfehlen aber, sich extrem an die Regeln zu halten, da die Sicherheitskräfte in der aktuellen Lage sehr wachsam sind und auch geringen Verstößen mit Misstrauen begegnen. Man sollte einreisen, den Auftrag erfüllen und sofort wieder raus.
China wird immer wieder mit dem Wort „Wirtschaftskrieg“ in Verbindung gebracht. Spüren Sie das in Ihrer Beratungsarbeit?
Ja, zu China erhalten wir viele Anfragen. Was Kriminalität, Unruhen und Unwetter angeht – also klassische Reiserisiken –, ist China vergleichsweise einfach zu bereisen. Es sind eher strategische Entscheidungen der Unternehmen, die zu weniger Reisen führen. Sollte es einen bewaffneten Konflikt mit Taiwan geben, muss die Lage sofort neu bewertet werden.
Die Ukraine und Israel bzw. der Nahe Ostenbeherrschen die Nachrichten. Welche „übersehenen“ Regionen brauchen genauso viel Vorbereitung?
Bangladesch und Pakistan. Beide Länder stehen im Fokus von Unternehmen, die nach Alternativen zu China suchen. Vor allem Pakistan aber hat mit massiven Problemen zu kämpfen. In kurzen Abständen kamen Covid 19, die Flutkatastrophe vom Herbst 2022, die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts und eine hohe Inflation – allesamt mit Auswirkungen auf die Reisesicherheit. Die Hauptstadt Islamabad im Landesinneren ist relativ problemlos bereisbar, Karatschi an der Küste aber eine ganz andere Nummer. Pakistan braucht dringend gute Vorbereitung.
Sollten besser flexible junge Leute oder erfahrene ältere in solche Regionen reisen?
Es kommt auf das Profil an. Junge Leute haben eine höhere Dienstreise-Bereitschaft, aber unter Umständen ein höheres Risiko-Profil – zum Beispiel, wenn eine junge Frau in eine patriarchalische Gesellschaft geschickt wird. Sollte sie aufgrund schlechter Erfahrungen irgendwann nicht mehr reisen wollen, muss das Unternehmen von vorn anfangen. Das kann das Geschäft torpedieren.
Das Interview erschien zuerst in „Der Handel“. Der Text wurde auf Aktualität durchgesehen, Stand: Anfang Januar 2025.