Mit Papier ist jetzt endgültig Schluss – zumindest bei Rewe. Denn der Lebensmitteleinzelhändler bewirbt seine Angebote seit Kurzem nicht mehr mit Prospekten. Die Zukunft des Handelsmarketings erfordert nicht nur ein Umdenken, sondern auch eine neue Werbewelt. Aber wie wird die zukünftig aussehen? Und welches Medium wird die Rolle des Prospekts einnehmen? Eine Einschätzung von Maximilian Balbach, Gründer und Co-CEO der Crossvertise GmbH.
Ob Nachhaltigkeitsziele, Preissteigerungen beim Druck oder die wachsende Anzahl von Werbeverweigerern – es sind viele Faktoren, die das Ende des analogen Vertriebs befeuern. Digitale Marketingkanäle wie eigene Apps und insbesondere auch Whatsapp liegen immer mehr im Trend. Auch bei Rewe heißt die Alternative zum Prospekt künftig Whatsapp: Hier sollen Kunden weiterhin regionale Angebote und Neuigkeiten auf eine leicht zugängliche Weise erhalten.
Doch weder Whatsapp noch ein anderes Medium werden die wesentlichen Funktionen des Prospekts – nämlich Aufmerksamkeit (=Awareness) und Stöbern (= Discovery) – vollständig vereinen. Der Ansatz der digitalen Ansprache ist nicht falsch, reicht allein aber nicht aus.

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Die meisten Lebensmittelhändler setzen weiter auf den wöchentlichen Handzettel.
Whatsapp erreicht nur Bestandskunden
Denn Angebote, die auf Whatsapp beworben werden, erhalten lediglich die Bestandskunden, die die App bereits nutzen oder den Online-Prospekt abonniert haben. Die Deaktivierung der Push-Benachrichtigung oder das Abbestellen des Whatsapp-Kanals ist dabei schnell getan, wird aber meist nicht mehr rückgängig gemacht.
Die Lösung können digitale Reichweitenkanäle sein, die aufmerksamkeitsstark sind und eine programmatische Ausspielung der Werbebotschaften ermöglichen. Je mehr Daten zur Werbeausspielung und zu den Nutzern vorliegen, desto besser das Targeting. Gleichzeitig können Daten auch dabei helfen, die Inhalte der Werbung zu dynamisieren und z.B. einen lokalen Bezug schaffen oder die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen.
Der „Stöber“-Faktor
Stöbern – das hat der Prospekt den Apps definitiv voraus. Denn das funktioniert auf kleinen Bildschirmen schlecht. Der kleine Bildschirm verhindert das Erlebnis der Produktwelten. Es leiden Up- und Cross-Selling sowie Spontankäufe. Unternehmen müssen ihre Discovery-Kanäle daher so weiterentwickeln, dass sie mehr „Immersion“ bieten, also Kunden besser in Produkt- und Themenwelten eintauchen lassen.
Video-Inhalte oder die Zusammenarbeit mit Influencern können dabei für zusätzliche Glaubwürdigkeit und Exklusivität sorgen. Auch Augmented Reality und das Metaverse werden eine große Rolle spielen. Produkte können in virtuellen Märkten oder Showrooms „erlebt“ werden und auf diese Weise das Interesse der Kunden verstärken.
3 Strategien für „Awareness“ und „Discovery“
1. Blätterbare Produktkataloge im Display Ad
Mit sogenannten Content-Engagement-Ads erhalten Werbebanner ein interaktives Format. Anstatt statischer oder animierter Inhalte präsentiert dieser Banner eine Art Mini-Webseite, mit der Nutzer interaktiv agieren können.
Diese ermöglicht nicht nur das Ansehen von Angeboten und Produktwelten, sondern auch das Blättern und Scrollen – und vereint somit Awareness und Discovery. Es lohnt sich allerdings, auf qualitativ hochwertige Umfelder zu setzen und Bot-Traffic auszuschließen, damit die Werbegelder nicht bei Betrügern landen.
2. Geo-Behaviour-Strategie & Drive-to-Store-Kampagnen
Die „Geo-Behaviour“-Strategie nutzt mobile Bewegungsdaten zur gezielten Nutzeransprache. Mithilfe von pseudonymisierten Bewegungsprofilen, die durch Mobilfunkanbieter oder bestimmte Apps erhoben werden, lässt sich ermitteln, welche Smartphones sich wann und wo aufgehalten haben. Diese Informationen ermöglichen gezieltes Targeting von Nutzern. So kann dem Smartphone eine zielgerichtete Werbebotschaft ausgespielt werden, die auf die nächste Filiale verweist.
Ähnliche Ergebnisse versprechen Drive-to-Store-Kampagnen, die sich im Vergleich jedoch an breitere Bevölkerungsgruppen im Einzugsgebiet von Filialen richten. Über Bewegungsprofile wird gemessen, wie viele der Nutzer, die eine Anzeige gesehen haben, tatsächlich einen Shop aufsuchen. Drive-To-Store-Kampagnen werden über Soziale Netzwerke, Google Ads oder andere Plattformen (DSPs) ausgespielt.
Der Vorteil beider Strategien ist eine sehr spitze Ansprache, die zur Bindung von Bestandskunden oder zum Abwerben von Wettbewerbszielgruppen beitragen kann.

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Medienwirksame Inszenierung: Hier übergibt Rewe-Group-Vorstand Peter Maly (rechts) das letzte Exemplar des Papier-Prospekts an NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
3. ATV & CTV mit Behavior-Strategie oder Haushaltsgraphen
TV-Werbung erzeugt Aufmerksamkeit – das ist klar. Addressable TV (ATV) und Connected TV (CTV) ermöglichen es, Fernsehwerbung auch mit lokalem Bezug im Handelsmarketing einzusetzen. Addressable TV fügt Spots und Banner in das lineare TV-Programm ein, Connected TV sind Video-Spots vor gestreamten Inhalten. Die digitale Auslieferung kann zudem um ein Geo-Targeting ergänzt werden – Werbespots werden inhaltlich auf die Angebote der lokalen Filiale abgestimmt und erhalten zudem einen Hinweis auf die App und Whatsapp als zusätzliche Informationsquelle.
Der „Big Screen“, also Fernseher, eignet sich hierbei perfekt, denn hier ist die Werbewirkung stärker und die Präsentation der Angebote überzeugender. Wurde ein Werbespot an einen Fernseher im Haushalt ausgeliefert, kann man die Banner auch an alle Haushalts-Endgeräte – insbesondere Smartphones – als Retargeting ausspielen, um die Kontaktfrequenz zu erhöhen. Dies ist auch sinnvoll, weil man am Fernseher nicht „klicken“ kann wie auf einem Smartphone.
Diese Kampagnen erzeugen maximale Aufmerksamkeit und erhöhen durch angepasste Inhalte die Relevanz der Werbung. Aber: CTV sind Branding- und Awareness-Medien. Sie erzeugen Aufmerksamkeit, führen aber nicht unbedingt zu Klicks und Spontankäufen.
Fazit
Bei der Wahl der Strategie gibt es kein „Richtig“ oder „Falsch“: Jede dieser Strategien bringt Vorteile und Herausforderungen mit sich. Sie sollten im Vorfeld sorgfältig auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des jeweiligen Unternehmens abgestimmt werden.