Wie entwickelt sich der Lebensmitteleinzelhandel in Millionenmetropolen? Aldi Süd gibt darauf mit Convenience-Stores in Schanghai eine Antwort. Er hat mit Aldi Deutschland nur noch Logo und Eigenmarken gemeinsam.
Die chinesische Mittelschicht gilt als kaufkräftigste Zielgruppe der Welt. Wer bei ihr Erfolg haben will, braucht einen langen Atem. Die Liste europäischer Händler, die sich aus China wieder zurückgezogen haben, ist lang. Aus Deutschland gehören Metro, Media-Markt, Lidl oder Obi dazu.
Umso aufmerksamer verfolgen Experten den Auftritt von Aldi Süd. Der Discounter hat sich seit 2017 über den Onlinehandel an China herangetastet, 2019 eröffneten in Schanghai die ersten Märkte. Die Expansion begann mit zwei Filialtypen: um die 1.000 Quadratmeter großen Märkten mit relativ viel Personal, die sich am deutschen Vorbild orientieren, und deutlich kleineren Läden mit 400 bis 500 Quaratmetern vom Typ Convenience-Store.

© Arvid Schulze-Schönberg
Sonnenschirme und Bistrostühle vor der Tür wären bei Aldi Süd in Deutschland undenkbar. In Schanghai bietet der Discounter solche Ruhezonen an.
Bis zu 30 Prozent Liefergeschäft
Die scheinen sich durchgesetzt zu haben: Die im Sommer 2023 eröffneten sieben Filialen, alle in Einkaufszentren, haben mit Aldi in Deutschland nicht mehr viel gemeinsam. Auffällig sind der fast gänzliche Verzicht auf Nonfood, die Bezahlung ausschließlich über Selbstscanner-Kassen und der Anschluss der Märkte an die in Schanghai omnipräsenten Lieferdienste. Der Umsatzanteil des Liefergeschäfts pro Filiale soll zum Teil bei 30% liegen.
Nach vier Jahren ist Aldi in Schanghai inzwischen mit 48 Märkten vertreten. Das ist aber wohl nur der Anfang. Aldi sehe in Schanghai und dem Jangtse-Delta mit Millionenstädten Potenzial für Hunderte Filialen, verriet der Österreicher Roman Rasinger, Chef der Landesgesellschaft von Aldi, 2022 in einem Interview dem „Handelsblatt“.

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Eingang einer Aldi-Süd-Filiale in Schanghai. Bezahlt wird ausschließlich ab Selbstscanner-Kassen (links im Bild).
Entwickelt wurde das Aldi-Konzept zu großen Teilen von Aldi Australia, das die Filialen auch beliefert. Ortskundige heben die geistige Flexibilität hervor, die im Aldi-Auftritt in China zum Ausdruck kommt. „Aldi hat sich in China angepasst und funktioniert wie ein chinesisches Shoppingcenter. Es dreht sich fast alles ums Essen, Alltagsprodukte gibt es kaum“, berichtet Arvid Schulze-Schönberg. Der Hamburger Immobilieninvestor kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. „Ich bin eigentlich ein Hardcore-Lidl- und -Kaufland-Fan, aber was Aldi in Schanghai geschaffen hat, nötigt mir Respekt ab.“
„Chinesen denken, deutsch ist gleich Premium“
Der Aldi-Auftritt sei „hip und fresh für das Auge, aber auch geschickt für den eigenen Geldbeutel“, berichtet er. Die Preise seien für den chinesischen Geldbeutel hoch, bei Aldi einzukaufen sei gewissermaßen ein Statussymbol.

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Smoothies und frisches Obst spielen neben Backwaren eine wichtige Rolle im Sortiment.
„Als ich mit den Angestellten unseres Hotels sprach, erntete ich nur traurige Blicke. Das Obst bei Aldi schmecke klasse, sagte man mir, aber das könnten sie sich nur einmal die Woche leisten.“ Aldi sei so etwas wie das „Guilty Pleasure“ in China. „Die verkaufen sich bewusst auf Mercedes- oder BMW-Niveau, haben aber die Kostenstruktur von VW im Blick.“
Aldi habe erkannt, dass trotz aller gelegentlichen diplomatischen Verstimmungen zwischen beiden Ländern Chinesen „deutsche Produkte“ liebten. „Die Chinesen denken, deutsch ist gleich Premium. Darauf setzt Aldi mustergültig.“

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Im Umkreis von drei Kilometern um eine Aldi-Filiale wird geliefert. Der Mindestbestellwert beträgt 59 Renminbi (ca. 7,50 Euro).
Kein Platz – kein Nonfood
Aldi bietet viele Eigenmarken an wie Monsigny (Champagner), Karlskrone (Bier), Knusperone (Müsli), Moser Roth (Schokolade), Amaroy (Kaffee) oder Choceur (Kekse), aber auch bekannte westliche Marken wie Knoppers, Corona, Heinz, Kühne, Häagen-Dazs oder Hellmann’s. Das Weinregal ist mit Gewürztraminer, Riesling und Müller-Thurgau bestückt.
„Das Hauptgeschäft sind aber Obst und Gebackenes wie Brot und Kuchen. Hier hat Aldi als deutsches Unternehmen einen Top-Ruf. Es ist alles frisch und nichts vom Tag zuvor“, berichtet Schulze-Schönberg. Auch Fertigmahlzeiten spielten eine große Rolle.
Interessant ist, was Aldi in China weglässt. Das Nonfood-Business findet nicht oder kaum statt. Das hat mit der Größe der Märkte zu tun, aber auch damit, dass die Menschen in Schanghai nicht in Altbauwohnungen oder Einfamilienhäusern leben, sondern in Apartments. „Chinesen kaufen viel häufiger viel weniger“, sagt Schulze-Schönberg. Einkaufswagen gibt es daher nur wenige.

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Lieferfahrer mit Motorrollern warten vor dem Eingang auf einen Auftrag.
Schanghai als Blaupause für die Asien-Expansion
Für Aldi geht es in China nicht nur um Umsatz, das Land ist ein Experimentierfeld. „Dass Bargeld im täglichen Leben de facto nicht mehr existiert, treibt die Digitalisierung des Handels nur noch in weitere Höhen“, sagte Aldi-China-Chef Rasinger dem „Handelsblatt“.
Die Personalisierung der Angebote, die Vermarktung über Onlinekanäle und die Zustellung von Produkten seien beeindruckend. Er spricht von einem „Blick in die Zukunft“. Arvid Schulze-Schönberg pflichtet ihm bei. „Ein Erfolg in Schanghai könnte die Blaupause für ein Aufrollen des gesamten asiatischen Markts sein.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der IZ Immobilien Zeitung.