Händler, die über die Grenzen hinaus verkaufen möchten, stehen vor der Frage: Cross-Border oder Niederlassung? Für beides gibt es gute Gründe. Etailment- und Der-Handel-Redakteur Stefan Becker beleuchtet die Vor- und Nachteile beider Strategien.
Grenzüberschreitende Geschäfte liegen im Trend. „Das Thema Verkauf ins Ausland treibt den Handel stark um“, sagt Georg Wittmann, Geschäftsführer von Ibi Research an der Universität Regensburg. „Wir erhalten jede Woche Anfragen, wie man sich da aufstellen kann.“ Und? Wie sollte man sich aufstellen? „Die Antwort ist eigentlich simpel: Es kommt darauf an.“
Tatsächlich gibt es keine Liste, die den Erfolg im Ausland garantieren würde. Und wer ein erfolgversprechendes Produkt hat, die mögliche Nachfrage ausgelotet, den Wettbewerb analysiert und die Kosten erwogen hat – der steht vor einer zentralen Frage: Soll vom heimischen Standort in Deutschland aus verkauft werden, also im Cross-Border-Geschäft? Oder besser über eine Niederlassung im Zielmarkt?

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Der Schritt ins Ausland wird für viele Händler auch wegen der schwächelnden Inlandsnachfrage immer attraktiver.
Das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Strategien mit jeweils berühmten Vorbildern. „Der Aufbau eines integrierten Ökosystems aus eigener Infrastruktur ist ein riesiger Kraftakt“, sagt Gerrit Heinemann, Wirtschaftsprofessor und Leiter des E-Web Research Centers an der Hochschule Niederrhein. Dass es funktionieren kann, zeige Amazon. Das Erfolgsgegenbeispiel sei Zalando. Das Unternehmen setze vor allem auf Service-Provider in den Zielländern.
Marktplätze als Einstieg
Was Amazon und Zalando eint: Beide treiben – jedenfalls im Ursprung – waschechten E-Commerce. Für die ersten Schritte empfehlen sowohl Heinemann als auch Wittmann einen Marktplatz im Zielland.
Schon das bringt einiges an Herausforderungen mit sich, obwohl bestehende Infrastruktur genutzt wird. „Es ist kurzsichtig, sich blind auf Amazon zu verlassen“, sagt Georg Wittmann von Ibi. „In Belgien zum Beispiel ist Bol.com viel größer. Und wir empfehlen in der Regel, den Rat von Auslandshandelskammern einzuholen. Überall auf der Welt entstehen ständig neue Marktplätze und E-Commerce-Trends, die wichtig sind, die in Deutschland aber niemand kennt.“
Lokale Sprache ist zwingend
Zwingend erforderlich ist zudem die Sprache des Ziellands, außerdem Anpassungen an lokale Gepflogenheiten und Rechtsvorschriften. Gleichzeitig bedeuten solche Auftritte eine gewisse Abhängigkeit. „Wenn Marktplätze der einzige Vertriebskanal sind und sich Regularien oder Preise ändern, kann es schwierig werden“, sagt Wittmann. Manchmal muss zum Beispiel eine Rücksendeadresse im Zielland angeboten werden.
Ein eigener Onlineshop macht unabhängiger. „Auch deutsche Onlineshops bekommen bis zu 5% ihrer Bestellungen aus dem Ausland“, hat Gerrit Heinemann beobachtet. Für mehr ist aber ein Shop im Zielland in entsprechender Sprache notwendig. Ohne den Marktplatz-Rahmen müssen Händler sich allerdings selbst um die Anpassung an Seh- und Kaufgewohnheiten des Zielpublikums kümmern. Außerdem liegt das Marketing komplett in eigener Hand, und auch hier braucht es Expertise, auf welche Weise und über welche Kanäle das am besten funktioniert.
Marktplatz und Onlineshop können bald an Grenzen stoßen. Zum einen erwarten die Kunden vieler Märkte prompte Lieferung, was von Deutschland aus schwierig ist. Zum anderen wird der Aufwand des Versands einzelner Pakete zu groß, sobald die Volumina steigen.
Direct Injection als Mischform
Bevor aber Niederlassungen und Lager in den Zielmärkten aufgebaut werden, gibt es Zwischenformen. „Wer ein zentrales Lager im Hauptmarkt bevorzugt, jedoch größere Mengen ins nähere Ausland schickt, für den käme Direct Injection infrage“, sagt Fabian Sedlmayr vom Berliner Fulfillment-Dienstleister Warehousing 1. Das bedeutet: Lastwagen bringen die Ware gebündelt ins Zielland und übergeben sie dort an einen lokalen Versanddienstleister.
„Eine fünfstündige Lkw-Fahrt nach Frankreich ist absolut im Rahmen. Grenzüberschreitender Einzelversand dauert in der Regel deutlich länger und ist teurer“, so Sedlmayr. Eine weitere Möglichkeit sind 3PL- und 4PL-Modelle. Lokale Fulfillment-Dienstleister kennen den Markt und können als sogenannte Third-Party-Logistiker (3PL) Lagerhaltung und Versand im Auftrag übernehmen. Für die Koordination verschiedener Länder stehen so genannte 4PL bereit: Sie übernehmen Steuerungsaufgaben, ohne selbst zu lagern und zu transportieren.
Der nächste Schritt wäre die Niederlassung. „Wichtig ist es, nicht zu hohe Investitionsrisiken einzugehen“, sagt Gerrit Heinemann. „Das Geschäft muss betriebsgrößenabhängig atmen können – der Händler sollte jedes Jahr prüfen, was ein Dienstleister übernimmt und was er selbst machen kann.“ Sowohl ein Wechsel der Dienstleister als auch das Insourcing von Arbeiten etwa sollten kurzfristig umsetzbar sein.
„Die wichtigste Voraussetzung ist der Erfolg im Heimatmarkt. Wer sagt: Ich gehe ins Ausland, weil ich in Deutschland keinen Erfolg habe, wird scheitern.“
Kontrolle muss möglich sein
Eigene Standorte bringen zudem Dinge wie Personalsuche, Arbeitsrecht und Kommunikation in der Landessprache mit sich. „Der Standort muss organisatorisch so eingebunden sein, dass ich ihn kontrolliere. Und dass er mich versteht“, sagt Heinemann. Er empfiehlt immer eine Doppelbesetzung: einen Geschäftsführer aus dem Markt, der die lokalen Gegebenheiten kennt und mit den Mitarbeitern zurechtkommt, und einen aus dem eigenen Haus, dem Abläufe, Steuerung, Berichtswesen und Seilschaften vertraut sind.
Variationen klassischer Niederlassungen sind Free Zones und E-Residenzen. Und es geht auch ohne E-Commerce, sozusagen wie früher – dann nämlich, wenn Partnerschaften zu lokalen Händlern im Zielland aufgebaut werden. Die deutschen Auslandshandelskammern zum Beispiel bieten dafür Geschäftspräsenzen an: Sie analysieren den Markt, empfehlen Partner und organisieren Messeauftritte und Reisen zum Kontaktaufbau, sagt zum Beispiel Matthias Hoffmann, President & CEO der German American Chamber of Commerce of the Southern U.S.. Alles Weitere übernehmen die Händler aus Deutschland heraus.
Hoffmann kennt die Stolpersteine: Deutsche Händler unterschätzen leicht die schiere Größe des US-Markts, sagt er, was auch Auswirkungen auf die Frage einer Niederlassung habe. Der Kommunikationsstil sei ein anderer. Und nicht zuletzt seien Europaletten in den USA weniger gängig, dort gebe es speziell beim inländischen Transport andere Formate.
Notausgang einplanen
Wie es auch läuft: Alle Überlegungen sollten ein Exit-Szenario mit eindeutigen Abbruchpunkten („Break-off Points“) umfassen. „Wenn klar definierte Vorgaben nicht erreicht werden, muss man den Mut haben aufzugeben“, sagt Gerrit Heinemann. „Und das sollte von Anfang an so geplant werden, dass es bezahlbar ist.“
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.