Die Zeiten für den Luxus-E-Commerce sind hart. Erst musste Farfetch gerettet werden, dann wurde Matches liquidiert. Doch für Mytheresa geht es aufwärts. Von Januar bis März wuchs der E-Tailer wieder zweistellig und steigerte im Vergleich zum Vorjahr die Gewinnmarge. CEO Michael Kliger über Going-Private-Spekulationen, die Ambition, ein hochprofitables Multimilliarden-Unternehmen zu werden, und die beste Eiscreme, die er dank Brunello Cucinelli kosten durfte.
Nach einer flauen Phase zieht das Tempo von Mytheresa wieder kräftig an. Steigerte der E-Tailer in den ersten beiden Quartalen des Geschäftsjahres 2023/24, das im Juni endet, seinen Nettoumsatz nur um knapp sieben und knapp vier Prozent, so legte er im dritten Quartal um knapp 18 Prozent zu.
Auch der Druck auf die Margen hat nachgelassen. Wies Mytheresa im ersten Quartal einen Ebitda-Verlust aus, so konnte der E-Tailer die bereinigte Ebitda-Marge von 4%, die er im zweiten Quartal erzielt hatte, in den ersten drei Monaten 2024 halten. Das liegt auch daran, dass der durchschnittliche Bestellwert um 8% gestiegen ist und sich jetzt auf 692 Euro beläuft.
„Wir glauben, dass wir mit der Frühjahrskollektion 2024 in eine gesündere Inventory-Situation gekommen sind“, sagt Mytheresa-CEO Michael Kliger. Für die mittelfristige Zukunft ist er optimistisch gestimmt: „Wir können organisch ein Multimilliardenunternehmen werden“, sagt er. Nach neun Monaten hat Mytheresa einen Umsatz von 619 Mio. Euro erwirtschaftet.
Die Zeiten für den Luxus-E-Commerce sind herausfordernd. Farfetch musste gerettet werden, die Frasers Group hat Matches liquidiert. Geht es jetzt aufwärts?
Michael Kliger: Wir sind mit unserem dritten Quartal sehr zufrieden. Wir wachsen zweistellig. Der Nettoumsatz ist um 17,6 Prozent, das Bruttowarenvolumen um 14,7 Prozent gestiegen. Das ist eine deutliche Beschleunigung im Vergleich zu den Quartalen zuvor. Wir glauben, dass wir mit der Frühjahrskollektion 2024 in eine gesündere Inventory-Situation gekommen sind. Als es die Bestandsüberhänge gab, sind nicht wir nicht mitgezogen und haben uns bewusst mit Rabatten zurückgehalten. Das hilft uns jetzt dabei, zum vollen Preis zu verkaufen.
Welcher Markt sticht momentan heraus?
Die große Story sind die USA, wo wir im dritten Quartal um 41,6 Prozent gewachsen sind. Das ist sensationell, denn die USA sind keine so kleine Basis mehr. Sie machen inzwischen 22 Prozent unseres Geschäfts aus.
Ist der Top-Kunde immer noch Treiber des Luxusmarkts?
Ja, der Top-Kunde ist der Wachstumstreiber. Wir haben 17 Prozent mehr Top-Kunden im dritten Quartal verzeichnet. Auch hier sind die USA mit weitem Abstand vorn. Wir haben die Zahl der amerikanischen Top-Kunden um 48 Prozent gesteigert. Unser durchschnittlicher Einkaufskorb ist um acht Prozent auf 692 Euro geklettert. Das ist ein neuer Rekord. Der Top-Kunde gibt durchschnittlich über 1000 Euro aus.
© Mytheresa
„Wir können ein Multimilliarden-Unternehmen werden“, sagt Mytheresa-CEO Michael Kliger.
Ihre Marge stand zuletzt stark unter Druck. Entspannt sich die Situation?
Die Margenerosion lässt nach. Für das dritte Quartal können wir eine bereinigte Ebitda-Marge von 3,9 Prozent vermelden. Im Vorjahresquartal lagen wir bei 1,6 Prozent. Das bedeutet, dass sich nicht nur unsere Umsatzentwicklung beschleunigt hat, sondern dass wir unter dem Strich mehr verdienen. Auf Basis des dritten Quartals halten wir an der Prognose für das Gesamtjahr fest, am unteren Ende der Spannen acht bis 13 Prozent für das Wachstum und drei bis fünf Prozent für die bereinigte Ebitda-Marge zu liegen. Hatten wir in den ersten zwei Quartalen Gegenwind, sehen wir jetzt, dass wir das schaffen können.
Das Gerücht macht die Runde, dass Mytheresa von der Börse genommen werden könnte. Ist an diesen Spekulationen etwas dran?
Wir haben schon immer gesagt, dass wir in Anbetracht der Unterbewertung am Aktienmarkt immer über Optionen nachdenken. Unsere Aktie hat sich seit dem 1. Januar gut entwickelt, sie hat 40% an Wert gewonnen. Dennoch sind wir weit weg von den Kursen zu IPO-Zeiten. Es gibt aber keine konkreten Going-Private-Pläne. Ich kann das Gerücht also nicht bestätigen.
Die Mytheresa-Aktie wird wenig gehandelt. Schaut man sich die Handelsumsätze der vergangenen 90 Tage an, wurden im Schnitt pro Tag Mytheresa-Aktien im Wert von 0,2 Mio. Dollar gehandelt. Bei Zalando waren es 37,2 Mio. Dollar. Ist das ein Problem?
Die sehr geringen Umsatzzahlen in den vergangenen Monaten sind einer der Faktoren, der die Aktie in der Wertentwicklung behindert. Das Handelsvolumen muss größer werden, damit der Kurs wieder dem eigentlichen Wert des Unternehmens entspricht. In der letzten Woche waren sie schon deutlich besser. Aber wir denken im Aufsichtsrat darüber nach, was wir machen können. Es ist natürlich ein Problem gewesen, dass E-Commerce seit 2021 eher kritisch gesehen wurde. Mit den Nachrichten, über unsere Wettbewerber wurde das nicht besser. Wir glauben, dass durch die sehr dramatischen Nachrichten deutlich wird, dass wir unterschiedlich positioniert sind. Deshalb hat unsere Aktie auf kleiner Basis im Gegensatz zu vielen anderen deutlich zugelegt. Das muss ich weiter fortsetzen.
Es gibt die ein oder andere Bank, die die Mytheresa-Aktie mit ihrem Aktienresearch nicht mehr abdeckt. Dazu gehört Société Générale. Beschäftigt Sie das?
Ja, wir haben ein oder zwei Banken verloren. Dafür haben wir die chinesische Investmentbank China International Capital Corporation oder kurz CICC gewonnen. So ein Wechsel passiert häufiger. Das ist nicht etwas, was besonders heraussticht.
Ihnen wird ein Interesse an Yoox Net-a-Porter nachgesagt. Haben Sie sich die Bücher angeguckt?
Unsere Hauptstrategie ist organisches Wachstum. Wir sagen, dass wir organisch ein Multimilliarden-Unternehmen werden können. Wir schließen M&A nicht kategorisch aus. Zu konkreten M&A-Opportunitäten sagen wir nichts.
Hat Mytheresa auch die Chance, ein Multimilliardenunternehmen zu werden, das richtig viel Gewinn erwirtschaftet? Man hat den Eindruck, dass es im E-Commerce immer noch eine große Leistung ist, wenn man überhaupt schwarze Zahlen schreibt.
Absolut, wir haben Chancen. Es ist nicht nur unser Ziel, sondern auch absolut realistisch, dass wir mittelfristig wieder um 15 bis 20 Prozent wachsen und in puncto bereinigter Ebitda-Marge in die Schiene von sieben bis acht Prozent kommen. Wir haben in den vergangenen Jahren immer eine Marge von sieben bis acht Prozent erreicht. Im Geschäftsjahr 2021 lagen wir sogar bei neun Prozent. In den vergangenen zwölf Monaten ist uns das nicht gelungen. Das ist aber kein E-Commerce-Phänomen gewesen. Die Behauptung, E-Commerce funktioniere nicht, ist Quatsch. Wir haben 2023 eines der schwierigsten Luxusjahre seit 2008 erlebt. Das sieht man an den Zahlen von LVMH, das sieht man an den Zahlen von Kering. Das Inventory-Problem war so groß, dass einige Luxusmarken sogar auf Walmart gelandet sind. So schmerzlich das kurzfristig ist, so sind diese Nachrichten mittelfristig positiv.
Höhere Gewinne zu erzielen, wird aber trotzdem nicht einfach, oder?
Auch ein Warenhaus-Konzern oder ein Textileinzelhandelsunternehmen zu leiten ist nicht leicht. Man braucht eine saubere Positionierung. Wenn der Kunde nicht weiß, warum er bei jemandem einkaufen soll, wird es schwer. Man muss auch auf die Kosten achten. Wir sagen, dass Mytheresa nicht nur ein Multimilliarden-Unternehmen wird. Es wird auch hochprofitabel sein und Mittelzuflüsse generieren.
Zalando-Co-Gründer David Schneider glaubt, dass Emotion im E-Commerce wichtiger wird. Er redet von Entertainment und Inspiration. Teilen Sie diese Ansicht?
Hier muss man zwei Aspekte unterscheiden. Halten wir Emotion für wichtig? Absolut. Ist das ein neues Thema? Nein! Ein Luxuskauf ist ein emotionaler Kauf. Es gibt keinen rationalen Grund, 200.000 Euro für ein Auto auszugeben. Es geht hier um emotionale Bedürfnisse. Wir bedienen diese Bedürfnisse über die Darstellung der Produkte, ihre Verpackung, ihre Exklusivität und Experiences, seien sie physisch oder auch digital. Man darf dabei aber nie außer Acht lassen, dass unser Kunde Luxus auch deshalb online kauft, weil er dadurch Zeit spart. Eine emotionale Positionierung darf also nicht damit verwechselt werden, dass ein Kunde sich zehn Minuten Zeit nehmen muss, um sich unterhaltsame Dinge anzusehen. Den Kunden mag es geben. Es ist aber nicht unser Kunde.
Hat sich die Art verändert, wie die Emotionen geweckt werden?
Das wird sich immer verändern. Die Gen Z hat keine anderen emotionalen Bedürfnisse als die Baby Boomer. Sie konsumiert Nachrichten und Werbebotschaften nur anders. Das hat natürlich eine Relevanz für uns. Auch relevant ist, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne reduziert hat.
Sie haben mit Apple Vision Pro experimentiert. Bleiben Sie dran?
Auf jeden Fall. Wir müssen immer darüber nachdenken, wie ein digitaler Intermediär wie wir Emotionalität wecken kann. Augmented Reality und Virtual Reality sind ein Weg. Auch Generative AI muss man sich anschauen. Apple Vision Pro ist ein Pilot. Angesichts der wenigen Geräte ist noch gar kein Markt vorhanden. Wir haben uns aber auf die Fahne geschrieben, solche Themen früh verstehen und lernen zu wollen. Man lernt auch, wenn man weiß, dass man noch nicht so weit ist.
Sport ist ein Tummelfeld für Luxusmarken geworden. Die Familie des Moncler-CEOs Remo Ruffini hat sich soeben an der dänischen Fahrrad-Marke Pas Normal Studios beteiligt. Wie wichtig ist dieses Feld für Mytheresa?
Der Luxus-Fashion-Konsum ist durch Anlässe getrieben. Sport ist solch ein Anlass. Wir haben schon lange gesehen, dass Fitness, Running und auch Ski relevante Märkte für unseren Kunden sind. Wir haben im Bereich Ski expandiert und mehrere Ski-Kapseln aufgelegt, darunter mit Bogner, Moncler Grenoble und Toni Sailer. Tennis steht momentan sehr stark im Fokus der Luxusmarken. Noch spannender finde ich Padel und Pickleball. Das ist ein ganz neuer sozialer Trend. Das schauen wir uns an. Es ist spannend zu verstehen, wofür sich unsere Kunden anziehen.
Können Sie sich vorstellen, ein Padel-Turnier auszutragen?
Ich kann und muss mir vieles vorstellen. Wir dürfen nicht stehenbleiben. Ob wir gleich ein Padel-Turnier austragen, weiß ich nicht. Sport schafft sicherlich ein soziales Umfeld, das immer Teil unserer Events ist. Das trifft übrigens auch auf die Gastronomie zu. Wenn man alleine isst, dauert das vielleicht zehn Minuten. Wenn man in Gesellschaft isst, wird daraus ein sozialer Anlass. Für unser Event mit Brunello Cucinelli am Ortasee wurden wir von Starkoch Antonino Cannavacciuolo bekocht. Er tischte uns die beste Eiscreme auf, die ich seit Menschgedenken gegessen habe. Hier schließt sich der Kreis zu dem, was wir gerade besprochen haben. Das sind alles Emotionen.
Dieser Text erschien zuerst auf Textilwirtschaft.de.