Von der automatisierten Alterserkennung über die Optimierung der Supply-Chain bis hin zum digitalen Zwilling: Die Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz im Handel sind äußerst vielfältig.
In einer Edeka-Filiale am Stuttgarter Flughafen müssen die Kunden jetzt keinen Ausweis mehr vorlegen, wenn sie alkoholische Getränke kaufen. Der IT-Konzern Diebold Nixdorf installierte dort im April eine Kamera, in deren Hintergrund ausgefeilte KI-Algorithmen arbeiten. Sie können das Alter automatisch erkennen, was die Transaktionen an den SB-Kassen deutlich erleichtert.
Einfache Einkaufsprozesse seien gerade im stressigen Reiseverkehr attraktiv, sagte Filial-Inhaber Florian Jäger bei der Inbetriebnahme. Und dieses Ziel sei mit der KI-Kamera erreicht worden. Schon in der ersten Woche habe man 80% der altersbeschränkten Warenkäufe automatisch freigeben können.
© Diebold Nixdorf
Die Kamera über dem Display liefert das Bild für die KI-Altersprüfung: System von Diebold Nixdorf bei Edeka Jäger in Stuttgart
Das Beispiel zeigt, wo künstliche Intelligenz dem Handel vom ersten Tag an Vorteile verschaffen kann. Und es ist nur eines von vielen, denn die Einsatzbereiche sind vielfältig. KI kann die Einkaufsabläufe im Laden verbessern, bei der Diebstahl-Prävention helfen, sie kann personalisierte Empfehlungen aussprechen, die Preise an aktuelle Entwicklungen anpassen, Verkaufsprognosen erstellen und die gesamte Supply-Chain optimieren.
Von der KI kreierter Kaffee
Sie kann sogar Produkte entwickeln, wie erst kürzlich die Kaffeerösterei Kaffa in Helsinki berichtete. Dort ließ man sich von einer KI die Mischung „AI-conic“ zusammenstellen, die seit einigen Wochen verkauft wird. Gründer Svante Hampf erklärte der Nachrichtenagentur AP, er habe dazu der KI die Beschreibung aller Kaffeesorten und ihrer Aromen gegeben und sie angewiesen, eine neue, aufregende Mischung zu finden. Das Ergebnis: eine Mischung mit Bohnen aus Brasilien, Guatemala, Kolumbien und Äthiopien.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat im vergangenen Jahr mit der Beratung Safari Consulting untersucht, wie weit der Handel bei der Anwendung von KI inzwischen ist und was sich die Branche von der Technologie erhofft. Dabei zeigte sich, dass rund 23% der befragten Unternehmen künstliche Intelligenz bereits nutzen – eine deutliche Steigerung gegenüber der Messung drei Jahre zuvor. Der Trend gehe eindeutig in Richtung eines verstärkten KI-Einsatzes, so die Studienautoren in einem Zwischenfazit.
Dabei stellten sie fest, dass vor allem größere Handelsketten das Tempo vorgeben. KI werde meist in größeren Unternehmen eingesetzt, was auf die erforderlichen finanziellen Mittel und Ressourcen zurückgeführt werden könne.
© Modepark Röther
Das Modehaus Röther mit 2.500 Beschäftigten in 51 Filialen hat eine Plattform von Quinx eingeführt. Deren KI-Module optimieren Personalbedarfsplanung und Dienstpläne – unter anderem durch die Auswertung von Daten der Vergangenheit.
Potenzial noch nicht lange nicht ausgeschöpft
Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit der EHI-Studie „Technologie-Trends im Handel“ aus dem vergangenen Jahr. Darin heißt es: „Künstliche Intelligenz gilt nach wie vor als wichtigste Zukunftstechnologie für den Handel. Unternehmen haben in den vergangenen Jahren in erste Projekte investiert, die Potenziale werden aber noch lange nicht als ausgeschöpft angesehen.“
Am häufigsten nutzen Händler KI-Software, wenn es um die Vermeidung von Diebstählen geht. Der Einsatz ist relativ unkompliziert und zeigt schnell Ergebnisse. Daneben sind die Belegbearbeitung in der Buchhaltung, Absatzprognosen und die Prüfung von Lieferantendaten Bereiche, in denen KI-Anwendungen vielfach zur Anwendung kommen.
Die Umfrage „KI im Handel“ zeigt auch, wo noch Nachholbedarf besteht. Ganz oben auf der To-do-Liste sind eine bessere Auslastung der Lagerflächen, die Automatisierung in der Sortimentsüberarbeitung und die Optimierung des Bestands durch Prognosemodelle. Bei der Analyse des bestehenden Sortiments, seiner Anpassung an aktuelle Entwicklungen, der Identifizierung von Ladenhütern und etwaigen Angebotslücken wird also künstliche Intelligenz in den kommenden Monaten verstärkt die Richtung vorgeben.
Von personalisierten Kaufvorschlägen bis zur Optimierung der Lieferkette
Angesichts solch komplexer Aufgaben suchen zahlreiche Handelsunternehmen nach technologisch kompetenten Tech-Partnern, wie beispielsweise Adobe, Salesforce, Microsoft oder Amazon Web Services (AWS). Die Modemarke Victoria’s Secret hat gerade eine mehrjährige Kooperation mit Google Cloud vereinbart.
© Der Handel
HDE-Umfrage in Zusammenarbeit mit Safari Consulting, 2023
Die Zusammenarbeit zielt darauf ab, die Customer-Experience zu verbessern und personalisierte Produktempfehlungen sowie Beratungsleistungen für Kunden zu entwickeln. Gleichzeitig will man damit bei Victoria’s Secret interne Geschäftsprozesse verbessern, wozu das Marketing, aber auch das Supply-Chain-Management zählen.
Gerade Logistik und Distribution sind Bereiche, bei denen der KI-Einsatz Händlern Mehrwert verspricht, unterstreichen auch die Strategieberater von Monitor Deloitte in ihrem Report „Der Einfluss von generativer KI auf den Handel“. Mithilfe von GenAI könnten Handelsunternehmen die Lagerbestände besser verwalten, den Lieferverkehr optimieren und dadurch Lieferzeiten minimieren, heißt es in dem Report.
Monitor Deloitte hat auch einen Leitfaden für Unternehmen entwickelt, um ihnen eine Orientierung für den Einstieg in die KI-Nutzung zu geben. Als entscheidende Punkte werden darin genannt: Das Top-Management muss hinter der KI-Strategie stehen, die Finanzierung gesichert sein, die Belegschaft muss mit auf die Reise genommen werden.
© Galaxus
Onlinehändler Galaxus gibt für eine wachsende Zahl von Produkten häufig erwähnte Vor- und Nachteile als Keywords an. Die Keywords errechnet eine KI aus den Bewertungen der Nutzer. Damit das Feature greift, ist ein gewisses Minimum an Bewertungen nötig.
Geschäftsführer mit Zwilling
Wie das gehen kann, zeigte kürzlich die Rewe Group in einem Experiment. Dort wurde der Avatar „Go Robert“ entwickelt – ein digitaler Zwilling des Geschäftsführungsmitglieds Robert Zores. Der kann als hochauflösendes 3-D-Hologramm lebensecht dargestellt, aber auch einfach angerufen werden und soll vor allem neuen Kollegen im Onboarding-Prozess fest zur Seite stehen.
Das Angebot, mit einem digitalen Zwilling zu sprechen, stoße auf große Resonanz, so Robert Zores in einer Mitteilung des Unternehmens. Besonders gefalle den neuen Kollegen, dass dem Avatar wertfrei und anonym diverse Fragen gestellt werden können, die im Rahmen des Onboardings in großer Gruppe vielleicht nicht immer einen Platz fänden, darunter persönliche Anliegen wie Informationen zu Kinderbetreuung, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Mental-Health-Programmen.
Zores: „Wenn ich vor Ort bin, freue ich mich aber natürlich weiterhin auch auf persönliche Gespräche mit den neuen Kolleginnen und Kollegen.“
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.