Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur dem Onlinehandel vorbehalten. Sie wird in Zukunft auch im stationären Einzelhandel unverzichtbar sein, sagt Andreas Jungermann, Berater für Analytics & AI bei der Deutschen Telekom MMS. In einem Gastbeitrag beschreibt er, wie KI-Assistenten das Einkaufserlebnis verbessern können, nennt aber auch die Risiken, die Unternehmen im Blick behalten müssen.
Sei es bei der generativen Text- und Bilderstellung, in der Sprach- und Gesichtserkennung oder bei der Automatisierung von Prozessen und Entscheidungen – KI hat sich als transformative Kraft etabliert. Auch im Handel wird künstliche Intelligenz zunehmend eingesetzt. Laut einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland setzen derzeit mehr als 20% der befragten Händler künstliche Intelligenz ein.
Immerhin zwei Drittel der Befragten nutzen KI jedoch noch nicht. Dabei sprechen die Vorteile solcher Digitalisierungstechnologien für sich. So führten in der Telekom-Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand 2021/2022“ 76% der befragten Unternehmen ihre Umsatzsteigerungen auf die Analyse von Daten zurück.
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KI-Assistenz auf der Fläche kann Mitarbeiter entlasten und die Kundenzufriedenheit erhöhen. Doch beim Einsatz gibt es Einiges zu beachten.
Im E-Commerce gilt Amazon als Vorreiter beim Einsatz von KI. Dessen auf Algorithmen basierende Produktempfehlungen, Lieferketten und Preisgestaltungen haben den Online-Versandhändler zum erfolgreichsten der Welt gemacht. Amazon nutzt künstliche Intelligenz beispielsweise für personalisierte Empfehlungen, bei der Platzierung von Werbeaktionen oder um die individuellen Suchergebnisse zu verbessern.
Datenanalyse für qualifizierte Echtzeit-Entscheidungen
Auch KI-gesteuertes Voice-Shopping mit Alexa, Amazon Go und die Automatisierung von Lagerprozessen mit Robotern optimieren die Arbeitsabläufe und stärken das Lieferkettenmanagement, den Kundendienst und die Marketingaktivitäten des Versandhändlers. Aber auch im stationären Handel ist die Anwendung solcher KI-Technologien in Zukunft denkbar, denn sie können das Kundenerlebnis positiv unterstützen und so die Kundenbindung stärken. Allerdings ist die Implementierung solcher Technologien mit Herausforderungen verbunden, weswegen Unternehmen auch die Risiken im Blick behalten müssen.
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bietet im stationären Handel zahlreiche Möglichkeiten den Ladenbetrieb zu optimieren und das Einkaufserlebnis zu verbessern. Da Prozesse im Einzelhandel typischerweise sehr datenintensiv sind, eignet sich KI hier besonders gut, um diese Daten zu analysieren, Muster oder Trends zu identifizieren, Echtzeit-Entscheidungen zu treffen und sich wiederholende, zeitaufwändige Aufgaben zu automatisieren.
Vor allem im Bereich der Customer-Experience ist KI in der Lage, datenbasiertes Wissen über einzelne Kunden auf- und auszubauen, um das Einkaufserlebnis gezielt zu verbessern und damit den Customer-Lifetime-Value (CLV) zu steigern. Doch welche Technologien können den CLV wirklich nachhaltig erhöhen?
KI-Assistenten mit Computer-Vision
Egal ob kleine Boutique oder großer Supermarkt – täglich bewegen sich zahlreiche Kunden durch den Einzelhandel. Im Gegensatz zum Onlinehandel ist es im stationären Geschäft jedoch oft schwer, ihre Aktivitäten und Vorlieben präzise nachzuvollziehen. An dieser Stelle kommen KI-Assistenten ins Spiel, die auf einer Computer-Vision-Lösung basieren. Computer-Vision nutzt die automatische Erfassung und Auswertung der Bild- und Videodaten eines Ladens. Intelligente Algorithmen erkennen und analysieren Personen und Objekte dabei präzise in Echtzeit.
Der Vorteil: Die Daten können anonymisiert erhoben werden und erfassen somit keine persönlichen Informationen. Das minimiert Datenschutzriskien und liefert dennoch wertvolle Einblicke, um den Geschäftsbetrieb zu optimieren und das Einkaufserlebnis zu verbessern.
Vom Betreten des Geschäfts bis zum Bezahlvorgang
Das maschinelle Sehen wird dabei für verschiedene Anwendungsszenarien genutzt: Über Kameras im Geschäft lassen sich Daten zu Fehlbeständen, Bewegungsmustern und Stoßzeiten auswerten. Diese automatische Bilderfassung informiert das Personal rechtzeitig, wenn ein Produkt aufgefüllt oder zusätzliche Kassen besetzt werden müssen, Servicepersonal benötigt wird oder Hinweise auf Diebstahl oder Vandalismus vorliegen. Derartige Analysen entlasten die Mitarbeiter auf der Fläche, die durch die Reduzierung von zeitraubenden, manuellen Prozessen mehr Zeit für ihre Kundschaft haben.
Und auch die Kunden profitieren von der KI-Technologie: Die Analyse von Bewegungsmustern ermöglicht den gezielteren Einsatz von Apps, audiovisuellen Signalen oder Digital Signage im Store und somit die Optimierung des Kundenservices.
Diese Tools unterstützen die Kundschaft bei der Orientierung im Geschäft, zeigen den schnellsten Weg zum gewünschten Produkt, geben individuelle Werbeempfehlungen und weisen auf Sonderangebote hin. An der Kasse können die Kunden dann berührungslos bezahlen, denn Computer-Vision ermöglicht es, die Artikel im Warenkorb exakt zu erfassen und korrekt abzurechnen.
KI als Risiko für den Customer-Lifetime-Value
Natürlich birgt der Einsatz von Technologien wie Computer-Vision auch Risiken, die sich negativ auf den Customer-Lifetime-Value auswirken können und die Händler unbedingt berücksichtigen müssen. Grundsätzlich gilt, dass KI-Assistenten das menschliche Element in der Kundenerfahrung nicht ersetzen können.
Denn auch wenn generative Chatbots oder KI-Avatare über Digital Signage oder manuelle Apps invididuelle Empfehlungen auf Basis des Kundenverhaltens geben können, fehlt dabei oft ein persönlicher Kontakt zwischen Kunden und Verkaufspersonal. Der ist jedoch mitentscheidend für eine langfristige Kundenbindung und die Steigerung des CLV.
Zudem besteht die Gefahr, dass KI-Assistenten Ergebnisse liefern, die nicht mit den Erwartungen von Kunden und Mitarbeitern übereinstimmen. Im schlimmsten Fall kann dies zu einer unerwünschten Stigmatisierung, Frustration oder Verwirrung bei den Kunden führen.
Auch der Datenschutz stellt ein Risiko beim Einsatz von KI im stationären Handel dar, denn KI-Assistenten greifen in verschiedenen Anwendungsszenarien auf eine Vielzahl sensibler Daten zurück.
Der Einsatz personenbezogener Daten ist dabei unerlässlich für die erfolgreiche Optimierung und Personalisierung des Einkaufserlebnisses. Ohne die Einwilligung des Kunden und ausreichend transparente Datensicherheitsmaßnahmen ist dies jedoch nicht erfolgreich möglich. Für Kunden und Mitarbeiter muss daher jederzeit nachvollziehbar sein, wie KI-Technologien im Geschäft eingesetzt werden.
So lassen sich KI-Assistenten sinnvoll ins Geschäft integrieren
Die folgende schrittweise Einführung von KI ermöglicht es Einzelhändlern, die Vorteile der neuen KI-Technologien sinnvoll zu nutzen und sicherzustellen, dass die Systeme und Tools optimal auf die Anforderungen ihres Geschäfts zugeschnitten sind:
- Zunächst wird eine Bedarfsanalyse durchgeführt und konkrete Prozesse ausgewählt, die durch KI verbessert werden sollen.
- Für das Training der KI-Algorithmen wird dann die vorhandene Datensammlung bereinigt und wenn notwendig erweitert.
- Mit einer brauchbaren Datenbasis erfolgt die Auswahl geeigneter KI-Technologien und deren Integration in die bestehende Systemlandschaft.
- Anschließend muss auch das Personal im Umgang mit den neuen Tools und Systemen geschult werden. Die Mitarbeiter sollten sich im Umgang mit KI sicher fühlen und nicht das Gefühl haben, dass die KI sie ersetzen soll.
- Auch die Kommunikation mit den Kunden über die neuen KI-Lösungen sollte transparent sein.
- Vor der endgültigen Implementierung der Technologie in die Geschäftsprozesse ist es in der Regel sinnvoll, ein Pilotprojekt durchzuführen, um die Auswirkungen von KI auf die eigenen Abläufe zu verstehen.
- Nach dieser Testphase erfolgt die Skalierung und Optimierung der KI-Lösungen sowie die vollständige Einführung der Technologie in den Geschäftsalltag. Die Leistung der Systeme wird dabei regelmäßig neu bewertet und an veränderte Anforderungen angepasst.
- Um zu gewährleisten, dass KI-Lösungen den geltenden Gesetzen, Richtlinien und Standards in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz entsprechen, muss während des gesamten Entwicklungs- und Implementierungsprozesses kontinuierlich für geeignete Hard- und Software sowie Daten- und IT-Sicherheit gesorgt sein.
Fazit
Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur dem Onlinehandel vorbehalten. Da auch der stationäre Handel immer mehr darauf achten muss, Kosten einzusparen, Ressourcen zu minimieren und Innovationen voranzutreiben, wird KI auch hier in Zukunft unverzichtbar sein, um das Einkaufserlebnis der Kunden bestmöglich zu gestalten. KI-Assistenten ermöglichen es, durch die Analyse des Kundenverhaltens personalisierte Empfehlungen zu geben und das Einkaufserlebnis zu verbessern.
Ob sich die eingesetzten Lösungen positiv auf das Einkaufserlebnis auswirken, lässt sich dann etwa anhand der Wirkung von Maßnahmen auf den CLV bewerten. Für eine erfolgreiche Transformation des Handels reicht es allerdings nicht aus, nur auf KI zu setzen. Für Einzelhändler ist es jetzt mehr denn je entscheidend, ein ganzheitliches Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Kunden zu entwickeln.
KI verändert nicht nur die Geschäftsprozesse, sondern auch die Unternehmenskultur. Deshalb ist es ebenso wichtig, dem Faktor Mensch besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Alle Beteiligten sollten sich der Bedeutung von KI bewusst sein.
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