Der Umgang mit Retouren ist ein kritischer Erfolgsfaktor im Handel, insbesondere im E-Commerce. Die effiziente Verteilung eingehender Rücksendungen ist von vielen Faktoren abhängig – und birgt großes Potenzial, um die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens zu erhöhen. Das Fraunhofer IAIS will mithilfe von künstlicher Intelligenz Retourenflüsse optimieren – und sucht Unternehmen, die die Open-Source-Version testen. Tim Wirtz vom IAIS erklärt, wie das System funktioniert.
Eine erfolgreiche Abwicklung von Retouren hängt von vielen Rahmenbedingungen ab, die teils in komplexen Beziehungen zueinander stehen. Hierzu zählen Produktart, Lagerkapazitäten, Unternehmensstrategie und Abverkaufsprognosen sowie saisonale Gegebenheiten. Zudem können sich die Bedingungen und Beziehungen ständig verändern. Das macht es für Unternehmen mit einem umfangreichen Artikelsortiment im E-Commerce und parallel im Filialverkauf nahezu unmöglich, Retouren allein auf Basis von klassischem Merchandise-Planning effizient zu verteilen.
Das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS hat im Verbund mit dem Fraunhofer Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies CCIT eine KI-Lösung entwickelt, die eine App-Software mit Verfahren des maschinellen Lernens sowie zeitgemäßen Edge- und Cloud-Technologien kombiniert. Sie wurde im Auftrag eines Kunden entwickelt und verarbeitet die Retouren-Flut effektiv und in Sekundenschnelle.
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Von der Annahme einer Retoure über ihre Identifikation und Zuordnung, die Sichtung und das erneute Einpflegen in den Lagerbestand: Bei der Verteilung von Warenrücksendungen gibt es viele Hebel zur Effizienzsteigerung.
Verteilungsentscheidungen in Sekunden
In der Praxis erprobt ist die Edge-Cloud-Lösung zur Retouren-Allokation durch ihren Einsatz bei einem deutschen Warenhaus: Hier müssen täglich mehrere tausend Rücksendungen so effizient wie möglich aus einem Zwischenlager in ein Online-Lager oder in eine von mehr als 100 Filialen verteilt werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder Artikel für jede Filiale ein individuelles Eigentumsverhältnis haben kann bzw. nur in einzelnen Filialen geführt wird. Und: Meist ist erst nach dem Öffnen der Sendung im Zwischenlager klar, welche Waren eingegangen sind.
Die Lösung muss die Verteilungsentscheidungen sekundenschnell treffen, sodass manuelle Sortierabläufe flüssig weiterlaufen können. Die Anwendung des Fraunhofer IAIS umfasst entsprechend programmierte Handscanner (Edge-Geräte), über die die Produktkennung (GTIN) eingelesen wird. Und quasi direkt nach der Scan-Bestätigung per Biep-Ton erscheint auf dem Display des Scanners die Anweisung zur Verteilung in eine Filiale oder das Online-Lager.
Im Hintergrund übermittelt die App des Scanners die vorprozessierten Daten an eine zweiteilige Server-Architektur (Cloud-System). Ein Serverteil übernimmt die Integration der Daten, um dann mit Machine-Learning-Verfahren die Abverkäufe für alle Produkte an allen Standorten vorauszuberechnen.
IAIS sucht Unternehmen als Forschungspartner
Ein zweiter Teil füttert auf Basis der Vorberechnung die Logik des Handscanners mit Daten und übernimmt so auch die eigentliche Allokation, also die optimale Verteilung der Waren. Die hier laufenden hochkomplexen Berechnungsmodelle werden jede Nacht automatisch mit den Daten des Tages aktualisiert, sodass das System bei Schichtbeginn stets auf neuestem Stand ist.
Die Anwendung lässt sich unkompliziert in die Retourenabwicklung integrieren und beliebig über die Lagerstandorte sowie Mitarbeiter skalieren. Auch die Verteilung von Neuware im regulären Lager- und Filial-Management kann so optimiert werden.
Die Basisversion wird als Open-Source-Anwendung zur Verfügung gestellt – für Unternehmen mit eigener IT-Abteilung ist sie auf diese Weise einfach implementierbar. Zusätzlich bietet das Fraunhofer IAIS eine kostenpflichtige Beratung zur Einrichtung der Anwendung oder für individuelle Anpassungen an. Das Institut sucht derzeit Unternehmen als Forschungspartner, die Interesse daran haben, die Anwendung zu testen und gemeinsam weiterzuentwickeln.