Wer kurz vor knapp noch ein Geschenk für jemanden aus dem E-Commerce braucht – Bücher gehen immer und sind meist von heute auf morgen lieferbar. Diese drei Thriller finden ihre Kicks in der Lieferdienst-Welt.
Tom Hillenbrand: „Lieferdienst“
Der Münchner Krimi- und Thriller-Autor springt 40, 50 Jahre in die Zukunft. Lieferdienste haben Neu-Berlin unter sich aufgeteilt, sind paramilitärisch organisiert und liefern längst nicht nur, sie stellen auch her: Disruptive 3-D-Drucker ermöglichen es, alles von der Zahnpasta bis zur Gaming-Konsole in Minutenschnelle bereitzustellen. Bestellungen werden von mehreren Diensten parallel gedruckt, aber nur wer zuerst beim Kunden ist, macht das Geschäft tatsächlich – was zu einem gnadenlosen Wettbewerb führt. Der Mord an einem Star-Auslieferer sowie verheerende Explosionen bei seinen Kunden führen Lieferfahrer Arkadi Schneider (Rang: „Boxrunner“) auf die Spur der nächsten Disruption. Und die ist echt gefährlich.
Wie in all seinen Tech-Thrillern seit „Drohnenland“, erzählt Hillenbrand nicht nur eine perfekt gebaute Geschichte, sondern malt eine durchtechnisierte Welt mit vielen Details (Hoverboards!) sehr farbig aus. Das geht so weit, dass er seinen Figuren ein neues Fachvokabular in den Mund legt. Er dreht das Lieferdienst-Geschäftsmodell ins Extreme, auch das Retouren-Problem, aber gerade das Überdrehte und Grelle machen den Reiz des Romans aus.
Ein schneller Thriller, sehr unterhaltsam, durchsetzt mit kleinen Gags (Iggy-Pop-Allee!) und nicht brutal. Lässt sich an zwei Weihnachtstagen bequem weglesen.
Lieferbar ist die Originalausgabe bei Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-00621-6, 192 Seiten, gebunden 20 Euro, E-Book 14,99 Euro.
Zoë Beck: „Die Lieferantin“
Ellie Johnson designt Drohnen und nutzt die neueste Generation, um in einem London der näheren Zukunft Drogen auszuliefern, die sie über ihren Darknet-Webshop anbietet. Die etablierten Drogenhändler rätseln, wer „Die Lieferantin“ ist, und ahnen, dass ihr „E-Commerce“ das klassische Straßengeschäft gefährdet. Ins Rollen kommt der Konflikt aber erst, weil ein Gastwirt seinen Erpresser beseitigt und die Drogenbosse den Falschen für den Tod verantwortlich machen – nämlich den Großhändler, der die „Lieferantin“ versorgt.
Das ist die Ausgangssituation des Romans der deutschen Schriftstellerin, deren eigentliches Thema eine rechtsextreme Gesellschaft ist: Das skizzierte England wird von „Rotweißblauen“ regiert, die den „Druxit“ vorbereiten, das komplette Verbot aller Drogen. Dagegen laufen Legalisierungs-Kampagnen, zu deren Geldgebern wiederum Ellie Johnson gehört – was dazu führt, dass ihre Drohnen bis in die hohe Politik hinein wirken. Zum Beispiel, weil sie den Gesundheitsminister beim Drogenkauf gefilmt haben.
Solide gebauter, düsterer Thriller, in dem der Idealismus der Hauptfigur und die Jeder-kennt-jeden-Verknüpfungen etwas platt wirken, der aber 2017 ein Gesellschaftsbild zeichnete, das sieben Jahre später noch genauso erschreckend möglich wirkt. Gute Lektüre für die Zeit zwischen den Jahren.
Lieferbar bei Suhrkamp, ISBN 978-3-518-46964-4, 324 Seiten, Broschur 10 Euro, E-Book 9,99 Euro.
Rob Hart: „Der Store“
Auch Rob Hart legt seine Geschichte in eine nahe Zukunft. Dort wurde Amazon von einem alles verschlingenden ultra-kapitalistischen Online-Marktplatz namens Cloud abgelöst. Von „Mother Clouds“ genannten Verteilzentren aus gehen die Waren mit ganzen Drohnenschwärmen an die Kundschaft, innen allerdings sind vor allem Menschen damit beschäftigt, die Waren zu Lieferungen zusammenstellen.
Diese Zentren sind kleine Städte, in denen die Arbeiter auch wohnen. Zum Beispiel Zinnia und Paxton, die beide neu in einer „Mother Cloud“ inmitten einer zerstörten Kulturlandschaft irgendwo in den USA anfangen – Paxton als Security-Mitarbeiter, Zinnia als Bandbeschickerin, tatsächlich aber als Agentin für Wirtschaftsspionage. Der Roman begleitet sie, während Paxton eine Art Karriere macht, Zinnia ihrem Auftrag nachgeht und beide einander näherkommen. Ihren Geschichten wird der Blog des messianischen, aber todkranken Cloud-Gründers gegenüberstellt, der sich als Wohltäter der Menschheit gibt.
Man kann dem Roman vorwerfen, dass er nach dem Standardmuster für Thriller gestrickt ist: Zinnia und Paxton werden so positioniert, dass sie sich gegenseitig und damit die Handlung vorantreiben. Die letzten paar Dutzend Seiten liefern Wendungen und Enthüllungen. Und natürlich ist die offiziell auf Fairness und Wertschätzung gegründete Cloud-Welt tatsächlich nichts als Ausbeutung in einer totalitären Organisation.
Gleichzeitig stellt der Roman einige kluge Fragen. Zum Beispiel, warum so etwas wie Cloud überhaupt entstehen konnte. Ob ein sicheres, aber unfreies Leben in der „Mother Cloud“ vielleicht besser ist als ein freies, aber stark bedrohtes Leben außerhalb. Und ob so ein Ausbeuterladen mit seinen Projekten für Fleischersatz und saubere Energie die Welt alles in allem nicht doch voranbringt. Gute Lektüre für den Weihnachtsurlaub. (Allerdings bedingte Empfehlung für Intralogistik-Experten, für sie ist der im Original 2019 erschienene Roman vermutlich schlecht gealtert.)
Lieferbar als E-Book von Heyne, übersetzt von Bernhard Kleinschmidt, ISBN 978-3-641-24430-9, 592 Seiten, 9,99 Euro. Die gedruckten deutschsprachigen Ausgaben sind vergriffen, aber antiquarisch einfach zu finden. Die englischsprachige Originalfassung „The Warehouse“ ist als gedrucktes Buch von verschiedenen Verlagen online erhältlich, aber – so zeigt eine kurze Recherche – vermutlich mit mindestens einer Woche Lieferfrist.