Steuern sind im E-Commerce komplex – erst recht im internationalen Kontext. Sie wirken daher nicht selten als Wachstumsbremse. In seiner meinungsstarken Analyse erklärt Roger Gothmann von Taxdoo, warum das für die großen Plattformen aus Asien wie Temu und Shein nicht zuzutreffen scheint.
Jedes Unternehmen im E-Commerce kennt die bürokratischen Herausforderungen beim Thema Steuern. Gerade Händler, die über etablierte Plattformen wie Amazon agieren, wissen: Die kleinsten Fehler können dort zu sofortigen Sperren führen, vor allem seit die Plattformen für die von Händlern nicht abgeführten Steuern haften. Das scheint neue und aggressiv wachsende Player aus Asien allerdings nicht allzu sehr zu belasten. Woran liegt das?
Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit greift seit 2023 ein Gesetz, das fast sämtliche Aktivitäten im E-Commerce für die Finanzverwaltung so transparent wie nur möglich macht: das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG). Große Plattformen wie Airbnb, Amazon und Zalando müssen einmal im Jahr sämtliche Transaktionen und Zahlungen, die über sie abgewickelt wurden, an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) melden. Das BZSt verteilt diese gewaltigen Datenberge anschließend an die zuständigen Finanzämter der Onlinehändler und Vermieter.
Dieses Gesetz war auch der Grund dafür, dass Amazon Ende 2023 und Anfang 2024 die Guthaben von mehreren zehntausend Händlern eingefroren hatte und gar ihre Konten sperrte: Sie hatten ihre steuerlichen Stammdaten (Steuernummer, Umsatzsteuer-Identifikationsnummer usw.) nicht sauber auf der Plattform hinterlegt, sodass der Marktplatzbetreiber mit der erstmaligen PStTG-Meldung Anfang 2024 in ein nicht kalkulierbares Haftungsrisiko gelaufen wäre.
Dennoch beschleicht viele hiesige Unternehmen das Gefühl, dass mit Hinblick auf die Konkurrenz aus Asien mit zweierlei Maß gemessen wird.
Schwarze Flecken auf dem Radar der Finanzverwaltung?
Nicht nur nach der öffentlichen Wahrnehmung ist offenkundig, dass diese neue Transparenz nicht nur noch nicht überall angekommen ist, sondern auch, dass sie für viele sogar einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Und zwar für die, die sich nicht daran halten (müssen).
Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht hören, dass Steuerverwaltung und Zoll so gut wie keine Ressourcen haben, um ihrer Kernaufgabe – der gerechten Erhebung von Steuern und Einfuhrabgaben bei allen Unternehmen – auch bei neuen und aggressiven Geschäftsmodellen aus Asien nachzukommen.
Über Temu, Shein und Co. gelangen jeden Tag zehntausende Pakete von Dritthändlern nach Deutschland. Sowohl dem Zoll als auch den zuständigen Finanzämtern mangelt es an qualifiziertem Personal und an der erforderlichen technologischen Infrastruktur, um diese Warenströme einer gerechten Besteuerung zu unterwerfen.
Es fehlt der Wille der Politik
Mit dem Finger auf Zoll und Finanzämter zu zeigen ist daher nicht zielführend. Die Politik muss diese mit den erforderlichen Ressourcen und Budgets ausstatten.
Leider sind die Lösungsvorschläge aus Berlin derzeit mehr als halbherzig. Auf einschlägigen Veranstaltungen hört man über alle Parteien hinweg Vorschläge wie diese:
- Konsumenten sollten ihre nicht nachhaltigen Einkäufe auf Temu, Shein und Co. Unterlassen. (Aha! Sind denn Amazon und Co. nachhaltiger unterwegs?)
- Man könne Studenten im Zoll einsetzen, die jedes Temu-Paket öffnen und prüfen, ob die Einfuhrerklärung zum tatsächlichen Wert des Produktes passt. (Studenten gegen Steuerbetrug! Welches Vollzugsdefizit könnten eigentlich gelangweilte Rentner lösen?)
Zudem verweist man nach Brüssel. Angeblich könne man dieses Problem nur gemeinschaftlich – also auf EU-Ebene – lösen. Dabei müsste den Politikern bewusst sein, dass eine solche Lösung, wenn überhaupt, vermutlich erst in fünf bis zehn Jahren kommen würde.
Mein Eindruck: Es fehlt schlichtweg der Wille der Politik.
Die Daten für Steuereinnahmen in Milliardenhöhe sind da
Auch Temu und Shein unterliegen dem PStTG. Zudem sind ihre europäischen Niederlassungen in Irland gemeldet, sodass Deutschland zusätzliche Transaktionsdaten von der grünen Insel bekommen könnte. Die damit verbundenen Steuereinnahmen dürften in den kommenden fünf Jahren im zweistelligen Milliardenbereich liegen.
Könnten! Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Betriebsprüfer, der in Niedersachsen auf E-Commerce spezialisiert ist. Ich fragte ihn, wann er endlich mit den ersten Daten aus den PStTG-Meldungen zu seinen Betriebsprüfungen losziehe. Die Antwort war ertnüchternd: „Roger, ich habe schon von diesem Gesetz gehört, aber niemand in der Verwaltung kann mir sagen, wie ich als Prüfer an diese Daten komme.”
Ohne Investitionen in die Finanzämter, ohne die Befähigung der Beamten, mit der bereits vorhandenen Technik umzugehen, werden wir noch lange auf Steuergerechtigkeit für unsere Online-Händler warten müssen.