Amazon hat das Jahr mit überraschenden, großen News gestartet und „Retail Ad Service“ angekündigt – Etailment.de berichtete. Etailment.de-Experte Markus Caspari erläutert die Details, ordnet die Möglichkeiten ein und nimmt eine strategische Einordnung für Amazon und Retail Media insgesamt vor.
Amazon öffnet – zunächst in den USA – mit „Amazon Retail Ad Service“ seine Retail-Media-Werbetechnologie für andere Händler. Das Angebot wurde im Januar 2025 auf der CES in Los Angeles vorgestellt. Nicht zum ersten Mal hat Amazon damit eine Technologie zunächst für den Eigenbedarf entwickelt und stellt sie dann als neues Geschäftsmodell Partnern und Kunden zur Verfügung. Eine ähnliche Strategie verfolgte das Unternehmen mit dem Launch von AWS als externes Produkt im Jahr 2006 und mit „Buy with Prime“ für Dritte im Jahr 2022.
Funktionsweise und Möglichkeiten
Händler können mit dem neuen Angebot, das in den USA startet, individuell angepasste Anzeigenplätze auf ihren E-Commerce-Websites ausspielen. Das erlaubt es, einfach in das Retail-Media-Geschäft einzusteigen und den Web- und App-Traffic zu monetarisieren. Amazon argumentiert, dass sich die Einkaufsprozesse für die Nutzer verbesserten. Denn durch die gezielte Werbung werde es erleichtert, Produkte zu entdecken, die Customer Journey somit simplifiziert. Technisch laufen die Daten cloudbasiert über Amazon Web Services (AWS), also komplett getrennt vom E-Commerce-Business auf Amazon.com.
Werbetreibende können bei ihren Kampagnen ihre Reichweite weiter skalieren, ein gewichtiges Argument. Denn gerade bei Kampagnen, die besonders gut performen, möchten Advertiser mehr Mediagelder investieren. Mangels Möglichkeiten, das heißt Inventar, ist das gelegentlich nur begrenzt möglich. Wie von Amazon Ads bekannt, werden Verfügbarkeit, Preis, kontextbezogene Informationen, Suchanfragen, Kategorien und betrachtete Produkte bei der Werbeauslieferung berücksichtigt.

© Amazon.com
Die Anzeigen von Amazon Retail Ad Service erscheinen, wie die Sponsored Ads bei Amazon, auf den Suchergebnisseiten, auf den Produktdetailseiten und auf den normalen Seiten.
Marketer werden in ihrer Amazon-Ads-Konsole die verfügbaren Einzelhändler sehen, bei denen sie Anzeigen platzieren können. Sie können einzelne Retailer spezifizieren und erhalten individuelle Reportings auf Einzelhändler-Ebene, vorausgesetzt, die Kampagnen sind entsprechend granular aufgesetzt.
Händler sehen in einer speziellen Retailer-Reporting-Konsole folgende Informationen: Ad Revenue, Ad Impressions, Ads per Reqest, Average Cost per Click, Click Through Rate, Attributed Sales, ROAS, jeweils heruntergebrochen auf Werbetreibende, Produktkategorie und Suchbegriffe.
Im Augenblick befindet sich der Service in der Beta-Phase in den USA mit Händlern wie iHerb (Vitamine & Nahrungsergänzung), Oriental Trading Company (Spielzeug, Party-Equipment) und Weee! (Asiatischer Online-Supermarkt). Weitere Händler werden folgen.
Auswirkungen auf das Retail-Media-Ökosystem
Amazon trägt mit dem Produkt der im Retail-Media-Bereich gewünschten Standardisierung Rechnung – vermutlich jedoch nicht so, wie sich das manche Verbände und Marktteilnehmer wünschen. Das Unternehmen schafft damit Fakten im wachsenden Retail-Media-Markt, die Erfolgsaussichten sind ausgesprochen gut.
Amazon tritt mit dem Angebot in unmittelbare Konkurrenz zu etablierten Spezial-Anbietern wie Criteo und Citrus Ads, aber auch mit Google oder kleineren Anbietern wie Koddi. Amazon argumentiert primär damit, dass den Endkunden ihrer Händler-Kunden mit dem neuen Angebot relevantere Anzeigen angezeigt werden – basierend auf seiner langjährigen Technologie- & Retail-Media-Expertise. Der Retail-Media-Marktführer bietet damit Händlern Zugang zu seinem großen Werbekunden-Portfolio und auf elaborierte Reportings & Insights.
Die strategische Frage ist nun, ob Händler auf Technologie von Amazon zurückgreifen möchten. Vor allem auf eine Technologie des Wettbewerbers, der zur größten Herausforderung für den globalen und lokalen Handel geworden ist. Sehr große E-Commerce-Anbieter werden das vermutlich nicht oder nur mit geringer Wahrscheinlichkeit tun.
Bei mittelgroßen oder kleineren Anbietern ist die Kosten-Nutzen-Rechnung eine andere. Sie haben wenig Risiko, müssen keine Zeit und Investments in IT- und Produktentwicklung tätigen und werden quasi Franchise-Nehmer der Amazon-Technologie.
Die Unternehmen werden Amazon zwar nicht die Türen einrennen, aber das braucht es auch nicht. Es ist eine langfristige Strategie und ein sehr smartes Angebot. Es reicht, einen kleinen Teil des Retail-Media-„Händler-Longtails“ zu gewinnen, um signifikanten Umsatz und Mehrwert für die Amazon-Ads-Plattform zu generieren. Der Druck auf die Technologie-Wettbewerber wird erhöht.
Naheliegende Einwände wie der Datentransfer von Händlern zu Amazon werden durch strenge Zugriffskontrollen entkräftet, so dass Informationen von Amazon Ads und Amazon getrennt sind. Ein für Amazon sehr elementarer Aspekt, den sie aktiv ansprechen, sah man sich doch in der Vergangenheit schon Vorwürfen in ähnlicher Richtung ausgesetzt (über das „The Wall Street Journal“ berichtete). Die Verarbeitung erfolgt bei Amazon Web Services, die Anzeigenmessung erfolgt in AWS Clean Rooms.
Neben bekannten Technologie-Angeboten haben E-Commerce-Unternehmen künftig nun eine attraktive weitere Option für die Implementierung von Retail-Media-Möglichkeiten. Die Technologie wird direkt in die Seiten integriert. Die Händler behalten die Kontrolle, wo die Werbung erscheint und wohin die Konsumenten nach einem Klick geleitet werden. Das heißt: Amazon verlinkt nicht auf seine Angebote, sondern Traffic und Umsatz bleibt bei den jeweiligen Händlern.

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Startseite der Amazon Retail Ad Services
Auf dem Weg zum Retail-Media-Betriebssystem
Bei Retail Ad Services handelt sich um einen großen strategischen und weitsichtigen Schritt, der deutlich über technologische Aspekte hinausgeht. Wer dieses Produkt nur als Technologie einstuft, liegt falsch. Amazon baut sein 2014 gestartetes Retail-Media-Ökosystem aus, indem es seinen Einfluss wie bereits bei der Amazon DSP über Amazon.com ausweitet.
Werbung kann jetzt nicht nur bei klassischen Publishern via Amazon DSP ausgeliefert werden, sondern eben auch bei anderen Händlern. Amazon spielt hier das „long game“ und hat einen weiteren Hebel gefunden, seine Dominanz auszubauen. Der Wettbewerb im Retail-Media-Business außerhalb von Amazon.com wird sich dadurch weiter verschärfen.
Werbetreibende können Kampagnen besser skalieren und Händler ihre Margen mit Retail-Media-Erlösen verbessern. Amazon kopiert dabei Strategien aus dem schon in Vergessenheit geratenen Google Playbook, als Google seinen Walled Garden im Bereich Programmatic Advertising aufbaute. Amazon führt nicht nur neue E-Commerce-Anbieter seinem Ökosystem zu und erweitert die Möglichkeiten für Werbekunden. Sondern bekommt auch Zugang zu gänzlich neuen Werbekunden.
Und das Hauptargument für Händler ist nicht die Technologie. Die ist auch bei anderen Angeboten sehr solide. Entscheidend ist der Zugriff auf die zahlreichen Werbetreibenden und deren Mediabudgets. Bezüglich der Diversifikation im „Gesamtökosystem Retail Media“ ist die mittelfristige Entwicklung kritisch zu beobachten, könnte sie durch den intensivierten Wettbewerb schlussendlich zu einer geringeren Angebotspluralität führen.
Letztlich ist diese Entwicklung ein weiterer Schritt von Amazon Advertising hin zu einem „Betriebssystem“ im Digital Marketing – zumindest in Bezug auf Retail Media.