Händler haben digitale Werbetafeln, betreiben Apps und Websites – alles Orte, die sich für Reklame eignen. Die Mediengattung Retail-Media ist noch gar nicht so alt und schwer im Kommen, eignet sich aber nicht für jeden Händler. Ein Cashkurs.
Retail-Media sind Werbeflächen, die Händler in ihrem Laden oder auf ihrem Grundstück anbieten. Das Geschäftsmodell hat „extrem viel Luft nach oben“, sagte Daniel Knapp, Chefökonom des Digitalmarketing-Verbands IAB Europe, im April auf dem „LZ Retail Media Day“. Retail-Media wachse stärker als der E-Commerce. „2024 wird ein Schlüsseljahr für die Branche“, so Knapp. „Wir erwarten eine Beschleunigung.“
Tatsächlich ist Retail-Media ein relativ junges Geschäftsfeld. Eine eigene Arbeitsgemeinschaft – der Retail Media Circle im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) – wurde erst im Dezember 2022 gegründet. Zwar gibt es seit Jahrzehnten Hersteller-Anzeigen in Kundenprospekten und Fernseher mit Produktvideos in den Regalen von Verbrauchermärkten. Beides wird aber nicht digital gesteuert.
© Online Software AG
Retail-Media geht auch sieben Meter groß: Das Modehaus Hagemeyer in Minden hat den Laden mit Videowänden ausgestattet – eine davon reicht über zwei Ebenen. Die Software stammt von der Online Software AG.
Retail-Media dagegen ist eine rundum digitale Angelegenheit: Es geht um Händler-Websites, Apps, Onlineshops und in den stationären Läden um Digital Signage und In-Store-Radio – alles Dinge, die heute zum guten Handelston gehören und reichlich Werbeplätze bieten. Mit allen gebotenen Fachwörtern definiert der BVDW Retail-Media als eine eigene Mediengattung: Sie „ermöglicht auf Basis einer datengetriebenen Historie eine funnel-übergreifende Messbarkeit der Werbewirkung, und dies direkt im digitalen und physischen Ökosystem des Retailers – on- und offsite.“
Händler sitzen auf Datenschätzen
Ausgangspunkt sind – die Definition sagt es – die Daten, die Händler über ihre Kunden erheben, durch Website-, Newsletter- und App-Registrierungen, durch Bon-Analysen und Befragungen. „Händler verfügen über einen enormen Datenschatz“, sagt Tatjana Zeitel, Retail-Media-Managerin bei der Douglas Group. „Den nicht zu nutzen ist in meinen Augen fahrlässig.“
Ziel der Werbung über Retail-Media ist es, durch Nutzung der Daten für jeden Kunden möglichst passgenaue Werbung auszuspielen. Das funktioniert auf digitalen Stelen im Markt vielleicht etwas grobkörniger, in den Apps und auf den Websites der Händler dafür umso zielgenauer. Es ist ja bekannt, wer vor dem Bildschirm sitzt. Daher kann der gesamte vorhandene Datenschatz aus persönlichen Interessen und Kaufhistorie dafür genutzt werden, das an Werbung zu zeigen, was vermutlich am ehesten zum Kauf führt.
Fingerspitzengefühl ist gefragt
Natürlich braucht es Fingerspitzengefühl. „Wenn Sie einen Schal von Marke A suchen und dauernd Werbung für Marke B gezeigt bekommen, ist das störend“, sagt Jürgen Schröcker, Unternehmensberater für Marketing im Einzelhandel. Wenn Retail-Media als konsequent personalisierte Werbung eingesetzt wird, sei das ein zweischneidiges Schwert. „Einerseits ist es gut, wenn die Inhalte relevant sind. Andererseits ist es kontraproduktiv, wenn man immer nur dasselbe perfekt Zugeschnittene zeigt“, sagt er. „Man muss Kunden auch mal was Neues zeigen, sie auf neue Gedanken bringen.“
Die Nutzung der Daten ist kein Kinderspiel. Der Markt hat zwar großes Potenzial, doch die Umsetzung steht erst am Anfang. IAB Europe sieht noch viel Handlungsbedarf: „Es gibt eine Kluft zwischen den großen Erwartungen und der Reife des Marktes“, so Verbandsmanager Knapp. „Die Chancen übersetzen sich nicht so schnell in die Realität. Wir müssen mehr tun.“ Werbung sei ein Teil der digitalen Transformation geworden und betreffe nicht mehr nur das Marketing.
Das Geschäft sei „wahnsinnig dynamisch“, formuliert es Douglas-Group-Managerin Zeitel. „Man muss ständig prüfen, was für das eigene Unternehmen übernommen werden kann, und sich ständig mit allen Abteilungen im Haus austauschen.“ Die Douglas Group hat die Tochtergesellschaft Douglas Marketing Solutions mit 35 Beschäftigten gegründet, die sich den ganzen Tag mit Retail-Media befassen, zurzeit ausschließlich in den Online-Medien, nicht in den stationären Filialen. Tatjana Zeitel ist dort Team Lead Sales & Business Development.
Retail-Media braucht Beweise
Am Ende des Prozesses stehen wieder Daten – die BVDW-Definition spricht von der „übergreifenden Messbarkeit der Werbewirkung“. Denn was digital ausgespielt wird, kann auch digital gemessen werden. „Bei Retail-Media muss man den Beweis antreten, was die Werbung bringt“, sagt Tatjana Zeitel. „Bei klassischen Kennzahlen wie Impressions, CTR oder ROAS ist vor allem die Standardisierung der Datengrundlage wichtig, um die Vergleichbarkeit für Werbetreibende zu ermöglichen.“
Und hier zeigt sich ein Problem des relativ jungen Segments: „Der sich sehr dynamisch entwickelnde Markt ist aktuell noch sehr fragmentiert und unübersichtlich“, heißt es in einer Pressemitteilung des BVDW. Im Januar veröffentlichte der Verband daher neue Branchenstandards mit dem Ziel besserer Vergleichbarkeit von Retail-Media-Reports.
Auf der Habenseite: Die Mediengattung eignet sich für jede Art der Kundenumschmeichelung. Zum Beispiel für Erstkontakt und Imagepflege (Awareness): Die Douglas Group verweist auf rund 57 Millionen Nutzer des eigenen Loyalty-Programms „Beauty Card“ – „wir können Marken Sichtbarkeit bieten“, sagt Zeitel. Und harte Verkaufsförderung (Conversion) geht auch: „Die räumliche Nähe zur Kaufentscheidung zu nutzen und Inhalte geziel an die Kunden auszuspielen ist ein Schlüssel zum Erfolg“, sagt Dörthe Jans vom Marktforschungsunternehmen Yougov im Interview mit „Der Handel“.
© Schwarz Media
Werben wie auf Online-Seiten, aber im Laden: Seit Ende April bietet die Schwarz Gruppe auf 900 Welcome-Screens in 580 deutschen Kaufland-Filialen die Möglichkeit programmatischer Werbung.
Retail-Media als Service
Douglas hat eine eigene Retail-Media-Gesellschaft gegründet, Obi ebenfalls – aber ist die Mediengattung auch etwas für kleine Händler? Patricia Grundmann, Vorsitzendes des Retail Media Circle im BVDW und Geschäftsführerin der Obi First Media Group, ist skeptisch: „Das Geschäft ist sehr intensiv, es braucht nicht nur Investitionen in digitale Technik und Infrastruktur, sondern auch eine strategische und kulturelle Neuausrichtung des Unternehmens“, sagt sie. „Es hängt von der Unternehmensstruktur und vom Einzelfall ab, ob es Sinn hat, ins Retail-Media-Geschäft einzusteigen, und in welchem Umfang.“
Marktforscherin Dörthe Jans sieht etwas mehr Spielraum: „Für kleine und besonders mittelständische Kunden ist eine komplett eigene Lösung oft nicht sinnvoll oder gar machbar.“ Aktuell lägen die großen Chancen, die eigenen Daten und Werbeflächen zu Geld zu machen, eher noch bei den großen Playern. „Es wird aber immer mehr Möglichkeiten geben, die eigenen Online- und Offline-Plattformen selbst zu vermarkten.“
Eine Idee dafür skizziert IAB-Experte Knapp. Mit „Retail Media as a service“ könnten große Händler mit eigener Retail-Media-Ausstattung anderen Händlern die Abwicklung von Werbeschaltungen anbieten. Noch gibt es das nicht, aber wie Knapp sagt: „Früher haben Unternehmen bei Margendruck das Marketing zusammengetrichen. Heute setzen sie digitales Marketing strategisch ein.“ Die Kirche müsse aber im Dorf bleiben, ergänzt Berater Jürgen Schröcker: „Der Rohertrag bestimmt den Erfolg eines Händlers, nicht der Retail-Media-Erlös.“
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.