Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das 2025 in Kraft tritt, stellt für viele Shopbetreiber eine Herausforderung dar. Es bietet jedoch auch Chancen, denn Barrierefreiheit kann sich positiv auf die Verkäufe auswirken. Doch was bedeutet der Begriff eigentlich genau und wie lässt sich die Gesetzesänderung in der Praxis umsetzen? Diesen Fragen widmet sich Tobias Kaiser von der Hamburger Agentur For Sale Digital in diesem Gastbeitrag.
Barrierefreiheit für Webseiten bedeutet, dass sie so gestaltet sind, dass sie von allen Menschen uneingeschränkt genutzt werden können. Dies schließt Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, kognitiv eingeschränkte Personen und solche mit temporären Einschränkungen ein. Inmitten dieser Anforderungen ergeben sich aber nicht nur Pflichten, sondern auch Chancen für eine erweiterte Kundenbasis und gesteigerte Zufriedenheit.
Die größten Probleme
- Farben und Darstellung: Niedrige Kontraste können für Menschen mit Sehschwäche die Nutzung einer Webseite erschweren, während flackernde Inhalte Anfälle auslösen können.
- Medien: Fehlende oder unklare Beschriftungen aus der Vergangenheit deaktivieren unterstützende Technologien. Fehlende Untertitel hindern Menschen mit Hörproblemen daran, auf Inhalte zuzugreifen.
- Bedienung: Menschen mit motorischen und kognitiven Einschränkungen benötigen alternative Eingabemethoden oder vereinfachte Optionen wie die leichte Sprache.
- Kompatibilität: Das Fehlen oder die unzureichende Kompatibilität mit technischen Hilfsmitteln wie Screenreadern kann die Nutzung des Angebots erschweren oder sogar verhindern.
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Bis zum 28. Juni 2025 müssen Computer, Betriebssysteme, Mobiltelefone, Tablets, Router, aber auch Onlineshops die Vorgaben zur Barrierefreiheit erfüllen.
Das Thema Barrierefreiheit ist also umfangreich – genau wie die Umsetzung. Doch ab wann ist ein Shop überhaupt barrierefrei? Wenn er:
- über mehr als ein Sinnesorgan wahrgenommen werden kann,
- für die Verbraucher auffindbar ist,
- in verständlicher Weise dargestellt wird,
- in Textformaten zur Verfügung gestellt wird, die von Assistenzsoftware genutzt werden können,
- in einer angemessen großen Schriftart, unter Berücksichtigung des Nutzungskontexts und mit ausreichendem Kontrast sowie ausreichenden Abständen zwischen den Buchstaben, Zeilen und Absätzen dargestellt wird,
- er andernfalls eine alternative Darstellung des Inhalts bietet, wenn Elemente keine Texte sind,
- er konsistent, bedienbar und verständlich gestaltet wird.
Die Umsetzung in der Praxis
Bei der praxisnahen Umsetzung der Barrierefreiheit gilt es 98 Prüfschritte zu durchschreiten, diese gliedern sich in 19 Gruppen. Im Folgenden sollen die wichtigsten vorgestellt werden.
Allgemeine Anforderungen
Die Barrierefreiheitsfunktionen sollen aktiviert werden können, die Informationen auf der Seite dürfen sich dabei nicht inhaltlich verändern.
Zwei-Wege-Sprachkommunikation
Onlinedienste sollten sicherstellen, dass genügend Übertragungskapazität für gesprochene Inhalte vorhanden ist und dass Echtzeit-Textkommunikation kompatibel und schnell reagierend ist.
- Videofähigkeiten: Damit ein barrierefreies Seherlebnis gewährleistet ist, sollten Videos Untertitel und Audiodeskriptionen haben.
- Textalternativen: Grafiken und Objekte sollten auf einer Website Alternativtexte haben, und Audiomedien sollten Alternativen für hörbehinderte Nutzer bieten.
- Anpassbarkeit: Überschriften strukturieren Webseiten. Menschen mit eingeschränkter Sicht oder Bildschirmansicht sind darauf angewiesen, dass die Struktur unabhängig von der visuellen Darstellung zugänglich ist. Klar definierte HTML-Überschriften fördern eine sinnvolle Anordnung.
- Unterscheidbarkeit: Es ist wichtig, dass eine Webanwendung auch ohne Maus benutzt werden kann und dass die Tastaturkurzbefehle nach Bedarf angepasst oder abgeschaltet werden können.
- Ausreichend Zeit: Bei zeitverzögerten Weiterleitungen sollen Nutzer etwas lesen, bevor sie auf eine andere Seite weitergeleitet werden. Die Zeitbegrenzung macht die zwischendurch angezeigte Seite für viele nicht zugänglich. Zeitbegrenzungen sollten daher anpassbar sein.
- Epilepsie: Um die Sicherheit für alle Benutzer zu gewährleisten, sollte eine Website auf flackernde Inhalte verzichten.
- Navigierbarkeit: Die Gestaltung von Abschnitten sollte ermöglichen, dass sie übersprungen werden können, klare Dokumenttitel sollten die Navigation vereinfachen.
- Eingabemodalitäten: Für Menschen mit Bewegungseinschränkungen ist es oft schwierig, komplexe Zeiger-Gesten erfolgreich auszuführen. Daher sollten Aktionen durch Zeiger-Gesten wie Tippen, Doppeltippen oder Tippen-und-Halten möglich sein.
- Vorhersehbarkeit: Um Benutzer vor unerwarteten Kontextänderungen zu schützen, sollte eine Anwendung auf eine durchgängige Navigation und klare Bezeichnungen setzen.
- Hilfestellung bei der Eingabe: Online-Formulare sollten Fehler erkennen, Formularelemente beschriften und Benutzern Unterstützung bei Fehlern bieten.
- Kompatibiltät: Eine klare HTML-Syntax erleichtert Browsern und Screenreadern die Handhabung der Seite. Eine Website sollte sicherstellen, dass sie korrekt strukturiert ist und Informationen wie Namen, Funktionen und Inhalte von Elementen leicht zugänglich sind.
- Benutzerdefinierte Einstellungen: Webangebote sollen die individuellen Browser-Einstellungen der Nutzer respektieren, wie etwa größere Schrift oder individuelle Farbeinstellungen. Benutzer sollten in der Anwendung die Freiheit haben, ihre eigenen Einstellungen nach ihren Bedürfnissen anzupassen.
- Autorenwerkzeuge: Eine Content-Management-Plattform sollte Werkzeuge für Autoren anbieten, die dabei helfen, Inhalte barrierefrei zu erstellen.
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Grundvoraussetzung für Barrierefreiheit ist, dass die Navigation per Tastatur möglich ist, denn nicht jeder Nutzer ist in der Lage, Maus oder Touchpad zu bedienen.
Tools zur Umsetzung
Programme und Widgets können dabei helfen, die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Shops leichter umzusetzen und die notwendigen Anforderungen zu erfüllen:
User Way:
User Way ist ein Tool für barrierefreie Websites. Es bietet Funktionen wie Text-zu-Sprache, Schriftgrößenanpassung, Kontrasteinstellungen und Tastaturnavigation. Die Integration ist einfach und erfordert nur wenige Schritte. Nutzer können die Website an ihre Bedürfnisse anpassen, was die Barrierefreiheit verbessert und die Einhaltung von Vorschriften erleichtert.
Deque axe:
Automatisierte Barrierefreiheitsprüfungen von Websites gehen mit Deque axe einfach. Die Anwendung durchsucht Webseiten, um sicherzustellen, dass sie den WCAG-Richtlinien entsprechen, und liefert detaillierte Berichte über entdeckte Barrieren sowie Vorschläge zur Behebung. Anbietern wird es ermöglicht, Probleme schnell zu erkennen und zu beheben, um die Barrierefreiheit zu verbessern.
Accessibe:
Accessibe ist ein KI-basiertes Tool, das die Barrierefreiheit von Websites in Echtzeit verbessert. Es bietet Funktionen wie automatische Bildbeschreibungen, Tastaturnavigation und Schriftgrößenanpassung. AccessiBe erfordert minimale manuelle Eingriffe und kann schnell auf Websites implementiert werden, um die Zugänglichkeit zu gewährleisten. Allerdings sind die Kosten ab 49$ / Monat auch mit einzukalkulieren.
Warum Shopbetreiber jetzt schon handeln sollten
2025 ist noch weit entfernt? Wir alle kennen es, dass die Zeit mitunter rasch verstreicht. Früh anfangen erspart Stress, aber es gibt auch weitere Vorteile, die dafür sprechen, sich bereits jetzt mit dem Thema Barrierefreiheit zu beschäftigen. So kann eine barrierefreie Website heute schon Wettbewerbsvorteile bringen, unter anderem bei der Suchmaschinenoptimierung (SEO).
Da ab 2025 Barrierefreiheit für die meisten Onlineshops ohnehin verpflichtend wird und die Anpassung von Websites Zeit und Ressourcen erfordert, sollte jeder, der heute Inhalte veröffentlicht, die auch 2025 noch relevant sein könnten, schon jetzt auf Barrierefreiheit achten. Eine frühzeitige Anpassung an das Gesetz kann die Position auf dem Markt stärken, indem ein breiteres Publikum erreicht wird.
Fazit
Die kritische Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Gesetzes und den praxisnahen Strategien für die Umstellung zeigt deutlich, dass Barrierefreiheit mehr ist als nur eine gesetzliche Verpflichtung. Sie ist eine Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft, in der Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten gleichberechtigt teilhaben können. Die Umsetzung erfordert Zeit, aber Unternehmen die Veränderungen auch als Chance für ihr Geschäft sehen.