Die Werbekraft der chinesischen Shopping-Plattform Temu scheint schier endlos, und viele kleinere Händler fragen sich, wie sie da mithalten sollen. Was hinter dem Mobile-only-Ansatz von Temu steckt und wie deutsche E-Commerce-Unternehmen sich Temus Schwachpunkte zunutze mache können, erklärt Alexander Boecker von der Digitalagentur Nerds in diesem Gastbeitrag.
Anfang April schaltete Temu innerhalb einer Woche 8.000 (!) neue Kampagnen auf Meta. Im Vergleich dazu lässt Temu auch E-Com-Riesen wie Shein oder Amazon ziemlich weit hinter sich. Diese schalten nur einen Bruchteil dieses Anzeigenvolumens.
Obwohl Temu erst seit einem Jahr auf dem deutschen Markt aktiv ist, hat laut einer repräsentativen Studie von Appinio bereits jeder vierte Deutsche (26 %) zwischen 16 und 65 Jahren bei Temu eingekauft, was dem Marktanteil der Versandikone Otto (30%) schon sehr nahekommt. Das zeigt: Temu ist es ernst damit, ein internationaler Gigant zu werden. Für deutsche Händler ergibt sich daraus eine Herausforderung, die aber nicht unüberwindbar ist.

© IMAGO / Funke Foto Services
Die Marketingstrategie von Temu zielt darauf ab, dass möglichst viele Erstnutzer die App installieren.
Temus Strategie: Werbung, Wachstum, Marktdurchdringung
Deutsche Onlinehändler müssen sich fragen: Wie kann man gegen ein Unternehmen bestehen, das aus scheinbar unbegrenzten Ressourcen schöpfen kann? Temus Strategie ist es, so schnell wie möglich zu wachsen und mit einer möglichst großen Marktdurchdringung langfristig große Gewinne zu erzielen. Diese Zukunftsaussicht lässt sich Temu einiges kosten.
Bei Temus Werbekampagnen fällt auf: Quantität kommt vor Qualität. Die Anzeigen sind sehr einfach gestaltet: Entweder enthalten Sie ein Produktbild und einen Hinweis auf einen großzügigen Coupon für neue App-Nutzer oder Content-Creator weisen in gemeinsamen Posts auf ihre Produktkollektionen hin. Der wichtige Punkt ist: Die Links führen immer in die App.
Was „Mobile only“ im Handel bedeutet
Das Ziel ist es, durch diese Anzeigen oder Coupons für Erstnutzer so viele App-Installationen wie möglich zu erreichen. Temu verfolgt nämlich einen in Europa bisher unüblichen Mobile-only-Ansatz: Kunden sollen nur die App benutzen, um Produkte zu bestellen.
Das Temu-Glücksrad ist dafür zum Symbol geworden. Es taucht immer dann auf, wenn man sich ein Produkt ansieht und dient dazu, weitere Rabatte oder Kundenvorteile zu erspielen. So wird aus einem spezifischen Produktwunsch schnell eine große Bestellung.
Der zweite Hintergedanke hinter Temus Mobile-only-Ansatz ist, dass einige Marketingkosten wegfallen, wenn der Kundenstamm über die App mit einer Push-Benachrichtigung erreicht werden kann.
Das Temu-Problem und die Chance für deutsche Händler
Die Preise sind niedrig, die Produkte leicht zu bestellen und Rabatte gibt es auch noch. Klingt auf den ersten Blick verlockend. Doch der deutsche Verbraucherschutz blickt mit großem Unwohlsein auf Temu, was bereits fast in einer Klage geendet hätte. Die Probleme sind vielschichtig. Die niedrigen Preise können mit einer geringeren Produktqualität und -sicherheit einhergehen, die Preise sind manchmal nicht nachvollziehbar gestaltet.
Noch dazu warten Kunden – aufgrund langer Transportwege – mit etwa zwei Wochen ziemlich lange auf ihre Bestellungen. Shoppen bei Temu mag den Geldbeutel schonen, die Umwelt jedoch nicht. Hier stecken Potenziale, mit denen sich Händler in Deutschland von Temu auf Social-Media abheben können.
Temus 3 große Schwächen als Wettbewerbsvorteile nutzen
- Authentizität: Nahbarkeit und Kundenkontakt sind Schlüsselfaktoren, die Temu schwer nachahmen kann. Eine authentische Marke mit starken Werten schafft Vertrauen.
- Qualitätsversprechen: Produkte aus zweifelhaften Quellen und Sicherheitsbedenken sind bei Temu ein Problem. Deutsche Händler punkten mit vertrauenswürdigen und sicheren Produkten.
- Schnelle Lieferzeiten: Während Temus Produkte oft lange Lieferzeiten aus China haben, können lokale Händler durch eigene Logistik und schnellen Inlandsversand glänzen.
Diese Differenzierungsmerkmale lassen sich vielfältig für Content nutzen. Hier drei Beispiele:
- Beratungs-Reels: Authentische Videos aus dem stationären Verkauf kommen gut an, da sie die klassische Kaufberatung ins Internet bringen.
- User-Generated-Content: Beiträge von Kunden über die Produktqualität wirken glaubwürdig und sorgen für Mundpropaganda.
- Smarte Ad-Formate: Carousel Ads lassen sich flexibel mit Inhalten füllen. Gerade mithilfe von KI lassen sich Claims und Darstellungen nahezu unbegrenzt variieren. Das macht dieses Format dynamisch und effizient.
Fazit
Mit einem unserer Kunden haben wir zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass die Kaufberatung einer altgedienten Verkäuferin auf Social Media sehr gut ankommt. In dem Fall sorgte die Kostümberatung zur Karnevalszeit für gute Laune und Orientierung im bunten Kölner Treiben.
Am Ende suchen Kunden Nahbarkeit und einen persönlichen Touch. In diesem Zusammenhang kann auch User Generated Content seine Macht entfalten. Bestätigte Käufe und echte Zufriedenheit strahlen mehr aus als Dumpingpreise.
Temu wird unerbittlich seinen Platz verteidigen, aber die Händler, die schon länger am Markt sind, müssen dadurch nicht verlieren. Durch eine konsistente und hohe Qualität mit einer Spezialisierung auf die Pain Points und Bedürfnisse der Kunden kann auf Social Media noch alles erreicht werden.