Polen, Tschechien oder Ungarn rücken für deutsche Onlinehändler zunehmend als verheißungsvolle Expansionsziele in den Blickpunkt: Die Wirtschaft wächst dort deutlich stärker als im EU-Schnitt, gleichzeitig ist der Wettbewerb bei den Marktplätzen noch überschaubar. Doch was sollten Unternehmen beachten, die den Schritt nach Osteuropa wagen wollen? Sara Piacquadio vom Logistikdienstleister Packeta erklärt, welche Erwartungen Polen und Tschechen bei Themen wie Retouren, Kundenservice oder Zahlung haben und wie Onlinehändler ihnen gerecht werden.
Laut dem HDE-Bericht „Online-Monitor“ betrug der Wert des deutschen E-Commerce-Markts im Jahr 2023 etwa 89,4 Milliarden Euro. Auf globaler Ebene beläuft sich der Online-Umsatz auf über fünf Billionen Euro (eMarketer). eMarketer prognostiziert, dass das Feld weiter um etwa 42% auf 7,6 Billionen Euro wachsen wird. Das zeigt: Das Entwicklungspotenzial für deutsche Unternehmen, die in ausländische Märkte eintreten möchten, ist enorm. Abseits der etablierten Märkte lohnt sich der Blick nach Osteuropa.
Aufgrund der positiven Wirtschaftsprognosen und des dynamisch wachsenden E-Commerce-Marktes stellt Osteuropa eine vielversprechende Alternative zu einer Expansion in westliche Länder dar. Besonders hervorzuheben sind die geringere Wettbewerbsintensität im Marktplatzgeschäft und das starke Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu westlichen Märkten. So ist das Bruttoinlandsprodukt prozentual in Tschechien stärker gestiegen seit 2020 als in Frankreich.

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Für Onlinehändler ist eine Auslandsexpansion oft einfacher als die Erschließung neuer Kundengruppen im Inland. Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei sind wirtschaftlich robust und deshalb attraktive Expansionsziele.
Dies ermöglicht es expandierenden Onlinehändlern, durch die Erschließung neuer Märkte in Osteuropa ihr Umsatzpotenzial zu steigern und möglicherweise höhere Gewinne zu erzielen, ohne dabei ein unverhältnismäßig hohes Risiko eingehen zu müssen.
Neue Märkte, andere Sitten
Wer beliebte Verkaufskategorien, demografische Trends und kulturelle Unterschiede kennt, kann die richtigen Strategien entwickeln. Auch der Wettbewerb will sorgfältig analysiert, die Konkurrenz und die Feinheiten der Marktplätze bekannt sein. So gibt es zum Beispiel unterschiedliche Präferenzen bei den Zahlungs-, Liefer- und Retourenarten. Traditionelle Zahlungsmethoden wie Barzahlung bei Lieferung (Nachnahme) sind in Osteuropa noch weit verbreitet. In Polen sind Online-Zahlungssysteme wie Przelewy24 (P24) und die traditionelle Banküberweisung beliebt.
Auch die Nutzung von E-Wallets, Online-Zahlungsmethoden wie Paypal oder Kreditkarte sowie mobiles Bezahlen per BLIK nimmt zu – vor allem bei jüngeren Konsumenten. Generell ist die osteuropäische Bevölkerung vergleichsweise jünger als die deutsche. Dies führt zu einer wachsenden Zahl junger Online-Shopper, die verstärkt digitale Kanäle nutzen und potenzielle Kunden für den E-Commerce darstellen.
Mit dem Ausbau der Infrastruktur steigt auch die Nachfrage nach schnellen Lieferungen. Vor allem in den Ballungsgebieten Osteuropas sind daher neue Lieferdienste und Logistiklösungen gefragt. Ob in Polen, Tschechien oder der Slowakei: Kürzere Lieferzeiten und ein verbesserter Kundenservice sind das A und O, um sich von der Masse abzuheben. So setzen immer mehr osteuropäische Anbieter auf Abholstationen.
Weniger Retouren, mehr persönlicher Kontakt
Die Verbraucher in Deutschland haben ein starkes Rückgaberecht. Das Retourenaufkommen ist hoch. In Osteuropa sind Rücksendungen eher unüblich. Deutschland kommt im Fashionsektor auf eine Retourenquote bis 30%, wohingegen es in Polen und Tschechien unüblich ist über 15% der Fashionprodukte zurückzusenden. Dies könnte zum Teil auf die traditionelle Präferenz für den Einkauf im stationären Einzelhandel zurückzuführen sein.
Auch die Art und Weise, wie Kunden vom Support kontaktiert werden wollen, ist unterschiedlich. Wer seinen Zielmarkt vor dem Markteintritt genau unter die Lupe nimmt, vermeidet Fehler. Für Osteuropa gilt: Persönliche Beziehungen und individuelle Kundenbetreuung sind unverzichtbar.
So haben wir schon öfter von unseren Kunden in Polen und der Slowakei zurückgespielt bekommen, dass ein Kundenservice in ihrer eigenen Landessprache unverzichtbar ist. Onlineshop, Kundenservice und die Betreuung der Social-Media-Kanäle sollten in der Landessprache verfügbar sein. Dies schafft eine direkte Bindung des Kunden an das Unternehmen.

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Abholstation des Elektronikanbieters Alza.cz in Prag: Kurze Lieferzeiten sind im tschechischen E-Commerce ein wichtiger Wettbewerbsfaktor.
Für den Vertrieb ist es sinnvoll, mit Logistikpartnern zusammenzuarbeiten, die die lokale Infrastruktur kennen. Es kann sich auch lohnen, einen E-Commerce-Manager einzustellen, der mit der Kultur, der Sprache und den Kaufpräferenzen vertraut ist, um die wichtigsten Online-Märkte kennenzulernen. Beispiele hierfür sind Mediaexpert in Polen und Alza in der Tschechischen Republik.
Der Teufel steckt im Detail
Mit Entstehung der EU wurden die Regeln für den Handel vereinheitlicht. EU-Verbraucherrichtlinien legen klare Pflichten für Verkäufer fest, insbesondere für die Transparenz gegenüber Verbrauchern. Diese Pflichten umfassen die öffentliche Zugänglichkeit der Bestimmungen und Rückgaberegeln auf der Website des Onlineshops sowie die Bereitstellung von Informationen über den Endpreis des Produkts, die Versandkosten und Gebühren.
Onlinehändler sollten sich zusätzlich zu der Verordnung über ungerechtfertigtes Geoblocking und Formen der Kundendiskriminierung informieren. Die Verordnung regelt, dass ausländische und einheimische Kunden denselben Zugang zum Geschäft haben und zum gleichen Preis einkaufen können. Obwohl eine Preisdifferenzierung für verschiedene Länder möglich ist, müssen ausländische Kunden die Möglichkeit haben, aus verschiedenen Sprachversionen und Preisen zu wählen.
Fazit
Wer sorgfältig plant, den Markt analysiert, seine Besonderheiten kennt und die Bedürfnisse der Verbraucher versteht, kann vom Wirtschaftsaufschwung in Osteuropa profitieren und sein Geschäft erfolgreich ausbauen. Die Schätzung von Umsätzen, Erträgen und Marketingkosten sowie die Bestimmung der Rentabilität von Investitionen sollten umfangreich geprüft werden.
Für den E-Commerce eröffnet sich nicht nur die Möglichkeit zur Markenentwicklung. Wer schnell handelt, sichert sich die Pole Position im Wettbewerb und gewinnt die neuen Absatzmärkte für sich.