
Das EU-Lieferkettengesetz, aber auch die Entwaldungsverordnung erfordern, dass Unternehmen Transparenz in ihre Beschaffung bringen. Die Auswahl der richtigen ESG-Software dafür stärkt nicht nur die Resilienz gegen Krisen – sie vereinfacht auch das Reporting.
„Es ist entscheidend, dass wir unsere Kaffees bis zu ihren Ursprüngen rückverfolgen können“, erzählt Jette Brandauer. Sie ist Nachhaltigkeitsmanagerin von Neumann Kaffee. Mitte Mai gab sie auf dem „Sustainability Osapiens Summit 2025“ Einblicke in die Herausforderungen der neuen Nachhaltigkeitsvorgaben. In diesem Fall in die Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR).
In den Ursprungsländern stelle sich eine zusätzliche Herausforderung. Auf den Plantagen wachse ein Teil des Kaffees unter Bäumen in sogenannten Agroforstsystemen. Satellitenbilder klassifizierten diese Flächen häufig als Wald, und jede Veränderung des Systems laufe Gefahr, als Entwaldung registriert zu werden. „Daher haben wir einen Prozess etabliert, mit dem wir dokumentieren, dass der Kaffee nicht aus entwaldeten Flächen stammt“, so Brandauer. Ansonsten drohen aufgrund der EUDR hohe Strafen.
Neumann Kaffee ist Rohkaffee-Dienstleister – die EUDR aber keineswegs reine Lieferantensache. „Der Handel findet sich häufig auch als Marktbeteiligter in der EUDR wieder“, sagt Lothar Harings, Rechtsanwalt der auf Compliance spezialisierten Kanzlei Cattwyk. Auch wenn ein Händler nicht selbst importiere, solle er die Angaben seiner Lieferanten prüfen können. „Und das Risiko trifft den, der die Ware hat. Beschlagnahmungen können auch in den Lagern des Handels vollstreckt werden.“
Vorgaben zur Erfassung von ESG-Daten werden kommen
Harings warnt zudem davor, angesichts der neuen Bundesregierung und des angekündigten Bürokratieabbaus in der EU (Omnibus-Paket) die vollständige Rücknahme von Vorgaben zu erwarten. Zwar sei die Umsetzung der EUDR auf Ende 2025 verschoben worden, er rechne aber damit, dass sie dann in Kraft trete.
Und auch falls eine europäische Regelung zu Lieferketten nicht komme – das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz (LKSG) gelte bis zu seiner Aufhebung weiter. Außerdem stehe eine weitere EU-Verordnung am Horizont: nämlich die über das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit.
Händler brauchen also Daten zu ihren Lieferketten. Das können ganz schön viele sein – Rewe zum Beispiel muss sich allein in Sachen Entwaldung um mehr als 1.700 Lieferanten, 60.000 B2B-Kunden und etwa 50.000 Produkte kümmern, so Tommy Stellmacher, Director Procurement Solutions bei Rewe Digital. Andere Händler haben weniger Volumen, aber nicht weniger Verantwortung.
Für die digitale Erfassung, Verarbeitung und Weitergabe von ESG-Daten, also Daten zu Nachhaltigkeit, Sozialem und Unternehmensführung, gibt es eine Fülle an Programmen – das Umweltbundesamt ermittelte für eine 2023 erschienene Studie 356 Softwaresysteme zum Thema.
Händler stehen also vor der Frage, welches System das richtige ist. Der Auswahlprozess funktioniert wie bei anderen Software-Projekten auch: mit der Analyse, welche Vorschriften beachtet werden müssen, was die Geschäftspartner verlangen und welche Reports es braucht. „Viele der erforderlichen Daten sind in Unternehmen ja schon vorhanden“, sagt Michael Vötsch, Vorstand der Nachhaltigkeitsberatung Kate Umwelt & Entwicklung. „Es geht darum, sie zu steuern und zu systematisieren.“
Ein Händler mit eigenen Liegenschaften hat andere Anforderungen als einer mit Flotte, ein Baumarktbetreiber andere als ein Chocolatier – die Entwaldungsverordnung trifft allerdings beide: den Holz- und den Kakaohandel.
ESG-Software-Lösungen brauchen USP
Am Ende steht ein Leistungskatalog. „Händler sollten auch die Frage stellen: Wie sehen die Prioritäten in fünf Jahren aus?“, rät Pierre-François Thaler, Co-CEO von Ecovadis, einem Anbieter von ESG-Ratings für Lieferketten. Je stärker eine Software in ein „Ökosystem“ eingebunden sei und je mehr Eigenes sie biete, desto besser. „Viele Lösungen bieten dasselbe wie andere. Sie werden nicht lange auf dem Markt sein.“
Am Ende muss keine zentrale ESG-Datenbank stehen. „Eine gute Software weiß, wo die Daten liegen, und führt sie bei Bedarf zusammen“, sagt Michael Vötsch von Kate. „Sie muss zum Unternehmen passen, sonst wird das ESG-Management um die Software herum gebaut, das wäre falsch.“ Es lohne sich aber, mit einer „minimal viable solution“ klein anzufangen und aufgrund der Erfahrungen weitere Entscheidungen zu treffen.
Unter den Hunderten Software-Angeboten stechen große Plattformern hervor. Sie versprechen, die sich rasch ändernden Vorgaben umgehend umzusetzen und Tools etwa für Audits bereitzustellen. Osapiens aus Mannheim beispielsweise sieht sich als „strategische Plattform“, die alle relevanten Daten konsolidiert, so Chief Operating Officer Stefan Wawrzinek. Sie sei darauf ausgelegt, Daten anderer Systeme zu importieren, zu verarbeiten und in rechtskonformen Berichten darzustellen.
Das gegenwärtig am stärksten nachgefragte Thema unter den 1.800 europäischen Kunden sei das Onboarding, also die Auswahl und Integration der richtigen Lieferanten. Osapiens nimmt für sich in Anspruch, Geschäftspartner über öffentlich zugängliche und interne Daten zu bewerten und Risikoprofile zu erstellen.
Noch gibt es eine Grenzlinie zwischen ESG-Compliance und Resilienz, aber sie verschwimmt.
Das französischstämmige Unternehmen Ecovadis geht noch einen Schritt weiter und vergibt ESG-Ratings an seine Kundschaft. „Unsere Unternehmensbewertung ist zum Standard geworden und wird in Zukunft unter europäischer Marktaufsicht stehen“, sagt Co-CEO Thaler. Er sieht die global konsolidierten Daten seiner Plattform mit rund 10.000 Kunden in Deutschland als größten Vorteil: „Am Ende brauchen Unternehmen keine Software, sondern Daten.“
Integration von ESG-Software in den Einkauf
Beide Anbieter betonen, sich auch an kleine Unternehmen zu richten – mit Grenzen: „Wer fünf Lieferanten hat, braucht keine Plattform“, so Stefan Wawrzinek. Beide betonen auch, ihre Daten in andere Systeme übergeben zu können – und das ist der Punkt, an dem Einkaufsplattformen ins Spiel kommen.
„Einkaufs- und ESG-Software standen lange nebeneinander“, sagt Jan-Hendrik Sohn, Vice President Sales unter anderem für Europa bei Ivalua, Anbieter einer Beschaffungsplattform. Inzwischen gebe es vielfältige Verbindungen zwischen beiden Welten. „Das Interesse der ESG-Anbieter, in eine Einkaufslösung integriert zu werden, steigt stark“, sagt er. „Denn solange ich nichts auslösen kann, ist der Wert reiner ESG-Informationen eher gering.“ Der Zugriff auf ESG-Daten erfolge über die Einkaufs-Software, dort könnten dann auch Folgevorgänge ausgelöst werden, beispielsweise wenn sich ein Lieferant als zu riskant herausstelle.
Ohne systematisches ESG-Management hilft keine ESG-Software.
Erster Ansprechpartner für Händler, die ihre ESG-Hausaufgaben digitalisieren wollen, könnte also der Anbieter einer vorhandenen Einkaufs- oder ERP-Software sein. Allerdings löst Digitalisierung nicht alles. „Ohne systematisches Management hilft keine Software“, sagt Michael Vötsch von Kate. „ESG-Management muss in der Organisation gelebt werden und Teil der Geschäftsstrategie sein.“ Denn Nachhaltigkeitsfragen taugten nicht für eine zentrale Abteilung, sondern müsste in vielen Rollen im Unternehmen verankert sein.
Zum Beispiel für die andere Seite der ESG-Bürokratie. „Noch gibt es eine Grenzlinie zwischen ESG-Compliance und Resilienz“, sagt Stefan Wawrzinek von Osapiens, „aber sie verschwimmt.“ Widerstandsfähigkeit gegen Krisen sei ebenfalls eine Frage der Transparenz. „Die notwendigen Daten zu den Lieferketten sind hier wie dort oft dieselben.“
Und dann lässt sich das Thema auch ganz politisch sehen, wie es der Oberbürgermeister von Mannheim, Christian Specht, auf dem Osapiens-Summit tat: „ESG ist wichtig – insbesondere da unsere Werte gegenwärtig unter Druck stehen.“
Dieser Text erschien zuerst in „Der Handel“ sowie auf www.how-green-works.de.