Immer mehr jüngere Konsumenten ziehen Erlebnisse Produkten vor. Das erfordert eine Neuausrichtung im Handel, sagt Marilyn Repp, die beim Handelsverband Deutschland das Mittelstand-Digital-Zentrum Handel leitet und seit Beginn des Jahres den Etailment-Expertenrat verstärkt. In ihrem ersten Beitrag erklärt sie, wie Onlineshops mit Gamification-Elementen das Bedürfnis nach Unterhaltung, Inspiration und Erlebnissen befriedigen können.
Lieber ein Urlaub als ein Auto? Diese Denkweise kann durchaus als Trend bezeichnet werden. Erlebnisse werden Produkten zunehmend vorgezogen – dafür stehen vor allem jüngere Generationen. Laut einer Harris-Studie von 2022 zeigen mehr als 75% der Millennials eine Präferenz dafür, ihr Geld lieber für Erlebnisse oder Veranstaltungen auszugeben, anstatt es für den Kauf materieller Wünsche einzusetzen. Im Gegensatz zu den vorherigen Generationen investieren sie ihr Geld bevorzugt in Restaurantbesuche, Reisen oder Unterhaltung.
Das erfordert auch eine Neuausrichtung im Handel. An der Stelle empfehle ich, einen Schritt zurückzugehen, sich von reinem Produktdenken zu distanzieren und zu überlegen: Was möchte ich vermitteln? Welche Werte repräsentiere ich? Welche Zielgruppen spreche ich an? Wie kann ich das Bedürfnis nach Unterhaltung, Inspiration und Erlebnissen ansprechen?

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Viele Vertreter der Generation Z haben einen ausgeprägten Spieltrieb. Der Handel muss deshalb Erlebnisse bieten.
Händler müssen ihre Geschäftsmodelle anpassen
In Zukunft wird der Handel seine Geschäftsmodelle anpassen müssen. Denkbar ist vieles: Services rund um Reparaturen, Events, Lesungen, Partys, Entertainment auf der Fläche, Community-Treffpunkte.
Ein Trend in obigem Sinne lautet außerdem: Gamification. In der jungen Gen Z (Geburtsjahrgänge 1996-2012) verstehen sich mehr als 80% als Gamer. Welche Möglichkeiten ergeben sich aus dem Spieltrieb der jungen Leute für den Handel? Viele! Ob gezielte Ansprache, Inspiration, Recruiting und Employer-Branding, Kundenbindung oder einzigartige Erlebnisse auf der Fläche.
Flink und Temu
So lässt beispielsweise Quick-Commerce-Anbieter Flink nach dem Schlüssel von Werbegesicht und TV-Moderator Joko Winterscheidt suchen. Lädt man sich die App herunter und findet den Gegenstand im Sortiment, erhält man Rabatt auf den ersten Einkauf. Wie schnell ich das überschaubare Sortiment kannte!
Ein anderes Beispiel: Die chinesische Billig-Plattform Temu hat ihr App-Interface von Anfang an dem von Spielen angepasst. Es leuchtet bunt, grell und es gibt ständig etwas zu gewinnen. Das Glücksrad ist schlicht allgegenwärtig. Man kann von Temu halten was man will – gerade junge Konsumenten laden die App millionenfach herunter und katapultierten die Plattform damit unter die Top-Downloads des Jahres in Deutschland.

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In der Temu-App ist das Glücksrad allgegenwärtig.
Wer spielt, will auch belohnt werden
Ein Glücksrad kann man auch ins geschlossene Schaufenster stellen – bedienbar durch einen QR-Code und eine Webanwendung. Oder ein 1,2-oder-3-Spiel im Store? Wer gewinnt, erhält einen attraktiven Gewinn. Hier ist aber Vorsicht geboten: Wer spielt, will belohnt werden! Zu echter Enttäuschung und einem für die Marke negativen Effekt kann es führen, wenn man ein Game spielt, das Ziel erreicht hat und dann einen Link erhält oder – noch besser – sich zu einem Newsletter anmelden soll. Wer leistet, will auch angemessen entlohnt werden.
Die Gewinne müssen auch nicht zwangsläufig mit dem eigenen Sortiment zu tun haben. Kooperationen und Kollaborationen gepaart mit Kreativität liegen voll im Trend!
Gaming kann die Arbeitgebermarke stärken
Nicht nur rund um Kundschaft, sondern auch rund um potenzielle Mitarbeiter gibt es spielerische Ansätze. So bewarb die Hagebau-Gruppe die eigenen Auszubildendenstellen mit einem pixeligen Retro-Game in Baumarkt-Optik. Es wurde berichtet, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer etwa fünf Minuten beträgt – um ein Vielfaches mehr als bei gängigen Stellenausschreibungen oder Recruiting-Seiten.

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Gaming kann aber auch einen Beitrag rund um die Arbeitgebermarke leisten. So sehen das inzwischen viele große Lebensmittler, die man immer öfter auf Gaming-Messen wie der weltgrößten Gamescom in Köln antrifft. Rewe kooperiert schon seit zwei Jahren mit SK Gaming und sponsert damit den E-Sport. Kaufland erstellte im Nintendo-Spiel Animal Crossing eine eigene Insel namens „Kaufisland“, die dann den Bewohner „Phil Leita“ (angelehnt an „Filialleiter“) beherbergte.
Es ist also vieles möglich rund um Gamification. Mein Rat lautet: nicht immer nur rund ums Produkt – sondern in Erlebnissen und in Spaß denken. Denn genau das tun die potenziellen Kunden zunehmend auch.