Der Einsatz von KI verspricht auch mittelständischen Händlern erhebliche Effizienzgewinne. Dennoch zögern viele Unternehmen noch. Eine Strategie in Schritten kann sie voranbringen.
Jetzt also GPT-4o. Das Mitte Mai vorgestellte Update von ChatGPT markiert einen vorläufigen Höhepunkt in der Entwicklung Generativer KI. Der Chatbot der KI-Firma OpenAI kann nicht nur schreiben, sondern auch fließend Unterhaltungen führen, Emotionen erkennen, handgeschriebene Rechnungen entziffern, Bilder und Videos verarbeiten.
Was OpenAI zudem versprach: Der Assistent soll erst mal für alle kostenlos bleiben. Damit dürfte die Nutzung künstlicher Intelligenz auf neue Höchstwerte steigen.

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Künstliche Intelligenz dringt in alle Bereiche des Alltags vor. Auch Mittelständler müssen darauf reagieren.
KI geht in alle Winkel
Erst kürzlich hatte eine Studie von Adobe gezeigt, in welchem Ausmaß die Deutschen Generative KI – also von KI generierte Texte, Sprache, Bilder und Videos – bereits nutzen. In einem Satz: KI ist dabei, in alle Winkel des Alltags vorzudringen.
Die Unternehmen haben auf diese Entwicklung reagiert. Einerseits, weil mit ChatGPT & Co. die Erwartungen ihrer Kunden gestiegen sind. Andererseits verspricht künstliche Intelligenz zahlreiche Wettbewerbsvorteile. 91% der deutschen Unternehmen erwarten eine Produktivitätssteigerung durch den verbreiteten Einsatz von generativer KI, heißt es in der Studie „State of Generative AI“ von Deloitte.
Allerdings glaubt nur rund ein Viertel der Befragten auch, dass ihr Unternehmen strategisch gut oder sehr gut auf die Einführung generativer KI vorbereitet ist. Das hat mehrere Gründe. Viele Unternehmen stecken noch tief im Prozess der digitalen Transformation, die in vielen Fällen ihr Geschäftsmodell verändert hat.
Immer neue KI-Tools
Das muss erst mal verarbeitet werden. Jetzt schickt sich die nächste Technologie an, wieder alles umzuwälzen. Im Wochentakt tauchen neue KI-Tools auf, was die Verunsicherung weiter erhöht. Viele Geschäftsführer beklagen sich darüber, hier die Orientierung zu verlieren und nicht zu wissen, wann und wie sie in das Karussell einsteigen können. KI-Spezialisten wiederum, die das beurteilen könnten, sind am Markt stark gefragt und kaum zu finden.
Dazu kommen strenge Datenschutzbestimmungen und der EU AI Act, dessen Konsequenzen erst in den nächsten Monaten vollumfänglich sichtbar werden (siehe Kasten 1 oben). Das KI-Experten-Netzwerk „Plattform Lernende Systeme“ empfiehlt deshalb eine strategische Vorgehensweise – von der Bestandsaufnahme bis zur kontinuierlichen Optimierung (siehe Kasten 2 unten).

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Intelligentes Videoüberwachungssystem des Start-ups Veesion: Auf der Fläche kann künstliche Intelligenz auch zur Diebstahlprävention eingesetzt werden.
Die Use Cases sind dabei abhängig von der Branche. Allein im Handel gibt es die unterschiedlichsten Bereiche, in denen KI zu einer Verbesserung führen kann. Im Service und Marketing, bei der Einsatzplanung von Personal, der dynamischen Preisgestaltung, für die Prognose von Nachfragen, der Auslastung von Lagerflächen und der Logistik, selbst bei der Betrugserkennung oder der Vermeidung von Diebstählen – überall gibt es für KI vielversprechende Einsatzfelder.
„Vom Kundenservice bis zur Werbekampagne, von der Einkaufsplanung bis zur Produkteinführung – KI kann im Handel fast überall sinnvoll eingesetzt werden“, bestätigt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Mitarbeiter auf die Reise mitnehmen
Der Verband hat 2023 Händler gefragt, wie sie es denn mit KI halten und was sie möglicherweise hindert. Ergebnis: 73% sagen, dass sie beim Einsatz von neuen KI-Technologien in der Regel erst einmal warten wollen, welche Erfahrungen andere machen. Daneben geben 61% der Händler an, dass ihnen die Mitarbeiter im Bereich KI fehlen, um die Einbindung voranzutreiben.
Natürlich spielen auch die Höhe des zur Verfügung stehenden Budgets und die Qualität der zur Verfügung stehenden Daten eine Rolle. Immer wieder belegen Untersuchungen, dass die vorliegenden Daten nicht so ohne Weiteres übernommen werden können, weil beispielsweise die nötige Zustimmung der Nutzer fehlt. Ohne Datengrundlage und ohne die entsprechende Bereitschaft zum Investment lassen sich aber keine funktionierenden KI-Modelle implementieren.
Darüber hinaus sind damit oft größere Veränderungen im Unternehmen verbunden. Abteilungen werden möglicherweise neu strukturiert, Verantwortlichkeiten anders definiert, zudem müssen Mitarbeiter geschult und auf die Reise mitgenommen werden. Denn viele Angestellte betrachten KI-Innovationen mit Skepsis, da damit möglichweise ein Verlust ihres Arbeitsplatzes verbunden ist.
Jede Einführung brächte eine soziokulturelle Veränderung an der Schnittstelle Mensch/Maschine mit sich, sagt KI-Beraterin Verena Fink. Es müsse deshalb für alle klar sein, dass KI ein Gewinn ist. „Die Mitarbeiter müssen spüren, dass sie von mühsamen, repetitiven, unsinnigen Dingen entlastet werden und mehr Zeit für echte Wertschöpfung haben.“
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.