
Der Titel der Keynote ließ aufhorchen: „KI und Kleiderstange: Wie generative KI den E-Commerce nachhaltiger und wirtschaftlicher macht“. Unter diesem Titel berichtete Sebastian Walter, Vice President Digital and Consulting bei der Otto Group, vorige Woche auf dem Greentech Festival über die Chancen der neuen Technologie. Im Interview nennt er Beispiele und sagt, wo Otto einen Roboterhund einsetzt.
Herr Dr. Walter, bitte erklären Sie uns: Wie soll Künstliche Intelligenz (KI) den Spagat schaffen, den E-Commerce gleichzeitig nachhaltiger und wirtschaftlicher zu machen?
Der These würde ich widersprechen: Es ist kein Spagat. KI ist vielmehr eine vielseitige Technik, und insbesondere die generative KI lässt sich mit überschaubarem Aufwand in der Praxis einsetzen. Sie schafft es, viele Prozesse zu vereinfachen und zu verschlanken. Das führt zu geringerem Ressourcenverbrauch. Das ist nachhaltig – und wirtschaftlich.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Als Beispiel sei nur die Routenoptimierung in der Logistik genannt, wie wir sie auch in der Otto Group einsetzen: Eine Fahrtstreckenoptimierung, die Staus ebenso berücksichtigt wie Fahrtzeiten, Auslieferungspräferenzen und die aktuelle Verkehrslage, spart Zeit und Strecke und ist für unsere Kundinnen und Kunden angenehmer. Das ist nachhaltig und wirtschaftlich. Gerade die generative KI wird hier noch weitere Schritte ermöglichen: Ein einfacher, aber gut funktionierender, persönlicher Größenberater kann beispielsweise die Anzahl der Rücksendungen verringern. Auch das ist nachhaltig und wirtschaftlich.
Inwiefern setzt denn die Otto Group bereits KI ein? Was sind Ihre Main Learnings? Und: Wurde das Tun und Wirken des Unternehmens dadurch tatsächlich nachhaltiger? Wie messen Sie das?
Es ist seit jeher in der DNA der Otto Group, technologische Entwicklungen frühzeitig zu testen und umzusetzen. Auch wenn wir bisweilen leiser auftreten als Wettbewerber, so gehört KI bei uns schon lange zum Alltag. Hunderte Anwendungsfälle sind im Einsatz, beispielsweise in unseren Chatbots, für Absatzprognosen oder auch die Aussteuerung von Marketing. Spannend sind die enormen Möglichkeiten, die die generative KI bietet. Hier entwickeln wir Use Cases konzernweit in konzertierten Aktionen, in denen sowohl die Konzerngesellschaften Entwicklungen starten als auch die Otto Group Holding strategisch und operativ unterstützt.
Können Sie das konkret machen?
Beispielhafte Anwendungsfälle, die alle aktuell schon mit generativer KI bearbeitet werden, sind die Ausgabe von Reviews in natürlicher Sprache im Otto-Onlineshop, die themenbasierte Suche bei Baur.de, die Nutzung von Large Language Modellen für die Erstellung von Produktbeschreibungen und Marketingtexten, oder die Erstellung virtueller Produkthintergründe. Weltweit führend sind die Kooperationen der Otto Group mit Boston Dynamics und Covariant. Beispielsweise übernimmt der „Roboterhund“ Spot von Boston Dynamics die vorausschauende Prüfung und Wartung von schwierig zugänglichen Stellen in Lagern.
Lassen Sie uns noch von der Metaebene auf den Gesamtmarkt blicken. Wo sehen Sie den größten Hebel für die E-Commerce-Branche, das Geschäftsmodell nachhaltiger aufzustellen?
Generative KI ist eine bahnbrechende technologische Entwicklung, die unser aller Alltag und Arbeitsweisen neu definieren wird. Das gilt auch für die sowieso schon recht moderne E-Commerce-Branche. Nachhaltigkeit im Allgemeinen lässt sich durch den Einsatz generativer KI verbessern, indem nicht-nachhaltige, ressourcenverbrauchende Prozesse minimiert oder eliminiert werden. Das beginnt bei der Herstellung von Produkten im Fashionbereich, weil beispielsweise weniger Muster und weniger Bemusterung in persona notwendig sind. KI kann verlässlich Schnittmuster entwerfen und an Modellen zeigen, sodass persönliche Treffen, für die oft internationale Teams zukommen müssen, unnötig werden. Zudem brauchen wir KI, um ein Monitoring im Sinne der Einhaltung von Standards umzusetzen und Muster zu erkennen, wo möglicherweise von Standards abgewichen wird. Das erlaubt, unsere neuen wissenschaftsbasierten Klimaziele glaubhaft und dauerhaft einzuhalten und Fortschritte in den Jahresgeschäftsberichten zu dokumentieren.
Wie sieht ihr Blick in die Zukunft aus?
Mittelfristig erwarte ich, dass die generative KI selbst uns weitere Maßnahmen vorschlägt, die Nachhaltigkeit der Geschäftsprozesse zu verbessern. Das macht gerade deren Charme aus: Nicht nur tun, was wir programmieren, sondern proaktiv Lösungsvorschläge anbieten, die wir dann bewerten.
Dieser Artikel erschien zuerst bei GREEN WORKS.