
Die Cannabis-Legalisierung ist in Kraft, aber noch gibt es keine etablierten Bezugsquellen. Ausnahme sind die Versandapotheken mit ihrem Medizinal-Cannabis. Deren Geschäft blüht gegenwärtig auf – dank gewiefter Telemedizin-Anbieter.
Cannabis ist in Deutschland legal – ein bisschen. Richtige Cannabis-Shops gibt es allerdings noch nicht und sind auch erstmal eher unwahrscheinlich. Die Cannabis-Clubs können frühestens von Spätherbst an Cannabis liefern, wenn sie ihre ersten Ernten nicht versemmeln oder es lange Wartezeiten bei der Vergabe der Anbau-Lizenzen gibt.
Also kommt das Cannabis, das man nun ganz legal besitzen kann, im Moment immer vom Schwarzmarkt? Nein. Denn im Schatten der ganzen Legalisierungsdebatte gibt es – zumindest für den Moment – echte Krisengewinnler: Versandapotheken. Denn Cannabis ist seit dem 1. April kein Betäubungsmittel mehr, so dass die Verschreibung von Cannabis als Medizin viel unkomplizierter ist als noch vor der Teillegalisierung. Rezeptpflichtig ist so genanntes Medizinal-Cannabis aber immer noch und daher nur in Apotheken erhältlich.
Für ein Cannabis-Rezept muss aber niemand zwingend persönlich beim Hausarzt vorstellig werden. Auf einschlägigen Websites bekommen die Cannabis-Patienten mit wenigen Klicks und ganz ohne Arztgespräch ein Rezept für medizinisches Cannabis. Es reicht, beim Ausfüllen eines Online-Fragebogens zum Beispiel Rückenschmerzen oder Schlaflosigkeit anzuklicken, damit das Rezept per E-Mail kommt. Mit diesem Rezept können die Empfänger aus rund 400 Sorten Cannabis-Blüten in teils hochspezialisierten Versandapotheken auswählen und es sich sogar mit dem Eilboten bis nach Hause schicken lassen.
150 Euro pro Rezept
Das Cannabis der Apotheken ist im Vergleich zum Schwarzmarkt recht teuer, die Qualität dafür auf Herz und Nieren geprüft. Bei besonders gewieften Telemedizin-Anbietern – also denjenigen, die das Rezept ausstellen – kostet das erste Rezept nur einen Euro Serviceentgelt. Die Rezepte sind einen Monat lang gültig und weisen auch eine genaue Sorte und Menge Cannabis aus, die dann in der Apotheke bestellt werden können.
So billig bleibt’s aber nicht. Ein Folgerezept kann bis zu 150 Euro kosten – und das braucht man, um weiterhin in der Apotheke einkaufen zu können. Und da die Patienten dann schonmal im Sales-Funnel der Telemediziner und Versandapotheken sind, werden sie selbstredend mit Folge- und Lockangeboten bei der Stange gehalten.
70.000 neue Cannabis-Patienten
Nie war es so leicht, an ein Cannabis-Rezept zu kommen wie jetzt. In den vergangenen vier Jahren haben Medizinal-Cannabis-Unternehmen, Ärzte und Apotheker viel unternehmen müssen, um gerade mal 200.000 Patienten in Deutschland mit Cannabis-Rezepten zu versorgen. Allein seit April dieses Jahres – also seit der Herausnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz – kamen 70.000 neue Patientinnen und Patienten dazu, Tendenz steigend, sagte Finn-Age Hänsel, Chef des Cannabis-Unternehmens Sanity Group, während einer Podiumsdiskussion in Berlin.
Tatsächlich wird ein Teil dieses Medizinal-Cannabis von den Krankenkassen übernommen. Ungefähr 60 Prozent der Alt-Cannabis-Patienten kamen in diesen Genuss. Hinter vorgehaltener Hand sagen Betreiber von Telemedizin-Plattformen, dass ungefähr die Hälfte der Patientinnen und Patienten tatsächlich Cannabis als Medizin braucht oder eine zwingende medizinische Indikation hat. Der Rest wird in diesen Kreisen als „MedRec“ bezeichnet – als medical-recreational. Sprich: Der Freizeit-Nutzen des Dopes aus der Apotheke steht bei dieser Klientel dem medizinischen Nutzen in nichts nach.
Widerstand der Krankenkassen
Positiver Nebeneffekt des Rezepts aus dem Internet: Wer bekifft am Steuer erwischt wird, kann sich mit etwas Nachsicht der Polizei darauf berufen, Cannabis-Patient zu sein, und so seinen Führerschein behalten. Zumindest wenn die fahrende Person nicht auffällig wurde, sondern nur zufällig ins Netz der Polizei ging.
Das ist mittlerweile auch den Krankenkassen aufgefallen. Es regt sich bereits Widerstand aus ihren Reihen, die sich nicht als Finanziers von freizeitorientiertem Drogenkonsum brandmarken lassen möchten. Von daher könnten die Kassen sich darauf zurückziehen, dass sie nur noch Cannabis-Produkte erstatten, die nicht halb so viel Spaß machen wie das Rauchen der Blüten: Tabletten, Öle, Salben oder andere Extrakte. Wie lange die Blüten noch erstattungspflichtig sind, bleibt also abzuwarten.