
Alle reden von Omnichannel, doch vielen Unternehmen fehlt noch die echte Zusammenführung der Kanäle. Das zeigte die Messe EuroCIS, unter anderem am Beispiel von Tchibo auf der „Connected Retail Stage“.
Christoph Kastaun, Director Information Technology bei Tchibo, zeichnete vorige Woche auf der Messe „Eurocis“ ein klares Feindbild. Einer der Bestseller von Tchibo sei die Sporthose „Performance-Lauftight“ für 29,99 Euro inklusive Versand – der chinesische Online-Marktplatz Temu allerdings biete ein vergleichbares Produkt für rund ein Drittel des Preises. Und zwar bei kostenfreier Lieferung nach Deutschland. „Temu ist eine große Bedrohung für unser Nonfood-Geschäft“, sagte Kastaun.
Tchibo versteht Marktplätze wie Temu als Weckruf, die eigenen drei Haupt-Vertriebskanäle enger miteinander zu verknüpfen: Stores, Online-Shop und Shop-in-Shop-Auftritte im Einzelhandel. Tchibo habe eine große Reichweite in stationären Supermärkten, achte auf Nachhaltigkeit, besitze sehr treue Kunden und biete ein kuratiertes Sortiment von rund 30.000 Artikeln, ist also kein Marktplatz – all diese Faktoren, so Kastaun, unterschieden Tchibo von Temu und sollen für die Positionierung künftig „viel stärker“ genutzt werden.
Um das zu erreichen, setzt Tchibo seine Omnichannel-Prozesse völlig neu auf. Erstens werden die Kundenkontaktpunkte überarbeitet und stärker digitalisiert, unter anderem erhalten alle 18.700 Shop-in-Shop-Standorte eine digitale Ausstattung. Denn, so der Tchibo-Digitalmanager, die Kunden an den „Tchibo Shelves“ waren bisher eine „Black Box“: „Über die wissen wir gar nichts.“ Zweitens sei eine holistische Customer-Experience-Plattform geplant – die bestehende Kundendienst-Plattform sei veraltet und werde vom technischen Anbieter nicht mehr gepflegt. Und drittens soll es „eine nahtlose Omnichannel-Plattform“ geben. Denn die verschiedenen Vertriebskanäle hätten je ihre eigene Technik, seien also als Silos organisiert ohne großen Austausch untereinander.
„Die Kunden merken das nicht“, sagte Kastaun. „Aber es hindert uns daran, Vollgas zu geben.“ Kurz gesagt: Bisher steckt relativ wenig „omni“ im Omnichannel-Geschäft von Tchibo.
Omnichannel ist ein Top-Thema im Payment
Tchibo steht damit nicht allein da. Ein Sprung in Halle 9 zum Stand des Payment-Service-Anbieters Computop. Nach den Trends unter der Kundschaft befragt, nennt Henning Brandt, Head of Communication, als erstes das Thema Omnichannel: „Die Unternehmen versuchen intensiv, die stationäre und die Online-Welt zusammenzubringen“, sagt er. „Das in der Tiefe umzusetzen ist eine echte Herausforderung.“
Viele Unternehmen hätten noch verschiedene Systeme für die verschiedenen Kanäle. „Für Abholservices müssen die Mitarbeiter in ihren Systemen sehen können, ob ein Kunde das Produkt im Online-Shop schon bezahlt hat oder nicht“, sagte Brandt. Wenn Kunden Produkte zurückgeben möchten – alles andere als eine Seltenheit im Online-Geschäft –, brauchen alle Kanäle zudem Zugriff auf Vorgänge und Transaktionen. Denn Erstattungen müssen denselben Weg gehen wie die ursprüngliche Bezahlung, und die Abwicklung muss wiederum auf allen Kanälen nachvollziehbar sein.
Die Zahlungsdienstleister wären diejenigen, die hier die Ströme zusammenführen sollten. Aber selbst sie könnten das nicht immer, sagte Brandt. Oft seien Zahlungssysteme für den Point of Sale und für Online-Shops getrennt gekauft worden und nicht verknüpft. „Das ist ein Problem der Konsolidierung im Payment-Markt.“
Deutschland hinkt etwas hinterher
Omnichannel ist also nicht gleich Omnichannel. Und schon gar nicht in Deutschland – das zeigten auf der EuroCIS Rudi Geiger vom Omnichannel-Plattform-Anbieter Newstore und Alexander Krüger von E-Commerce-Software-Spezialisten Commercetools. Ihre Studie „The State of Omnichannel Retail: Europe and Germany“ basiert auf Mystery-Shopper-Einkäufen bei 294 Marken in sieben Ländern, darunter 61 aus Deutschland.
Aus den in Düsseldorf präsentierten Ergebnissen stachen hervor:
- Europaweit sind in 46 Prozent der untersuchten Shops die erhobenen Online-Funktionen vorhanden – in Deutschland in 31 Prozent der Shops.
- Europaweit 44 Prozent der Marken bieten die Service-Angebote BOPIS („Buy Online, Pick up In Store“ = „Click & Collect“) und BORIS („Buy Online, Return In Store“) – in Deutschland 18 Prozent.
- 36 Prozent der von den untersuchten Unternehmen angebotenen Apps bieten Funktionen für das stationäre Geschäft – in Deutschland sind es elf Prozent.
- Und ein Prozent der untersuchten stationären Geschäfte in Europa ermöglichen Live-Chats mit den Mitarbeitern im Store – in Deutschland null.
„Europäische Händler brauchen mehr Omnichannel-Funktionen“, fassten Geiger und Krüger zusammen. „Der Verkauf über Mobile Apps ist zu zögernd. Und vielen europäischen Geschäften fehlen digitale Features.“ Eines ihrer Beispiele: „Wenn Kunden im Laden nach einem Produkt vom Instagram-Account fragen, können viele Mitarbeiter nicht helfen.“ Da seien noch Hausaufgaben zu machen.
Aber selbst, wenn die Omnichannel-Technik da ist – das System muss auch gelebt werden. Die Preisangaben in stationären Geschäften und den dazugehörigen Online-Shops seien problemlos synchronisierbar, erst recht mit elektronischen Preisschildern (ESL), hieß es am Stand eines Retail-Software-Spezialisten in Halle 10. Aber: „Stationäre Händler wagen dynamisches Pricing viel zu selten“, sagte er. „Sie sollten sich mehr zutrauen. Online sind solche Preise schließlich gang und gäbe.“