2025 soll die EU-Verpackungsverordnung PPWR in Kraft treten. Sie sieht unter anderem Ziele für wiederverwendbare Verpackungen und Mehrweg vor. Beides trifft auch Händler, vor allem im E-Commerce. Ein Überblick über den Stand der Diskussionen.
Vor fast einem Jahr legte die Europäische Union den Entwurf der „EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle“ (PPWR) vor, kurz: die Verpackungsverordnung. Im Oktober hatte der Umweltausschuss des EU-Parlaments abgestimmt, Ende November sprach sich das Parlament mit 426 Ja-Stimmen, 125 Nein-Stimmen und 74 Enthaltungen klar für den Vorschlag aus.
© IMAGO / Michael Gstettenbauer
Die EU-Kommission hat Ende November 2023 den Ausbau von Mehrwegkonzepten beschlossen.
Die Abgeordneten setzen sich für umfassende Ziele zur Reduzierung von Verpackungen ein: 5% bis 2030, 10% bis 2035, 15% bis 2040 – für Kunststoffverpackungen sogar 10% bis 2030, 15% bis 2035 und 20% bis 2040. Außerdem ist ein Mindestanteil an Rezyklaten vorgesehen.
Unternehmen sollen einen gewissen Anteil ihrer Produkte künftig in wiederverwendbaren Verpackungen anbieten müssen. Die Richtlinie soll zudem dafür sorgen, dass Mehrwegsysteme attraktiver werden als Recycling.
Fakten zur neuen EU-Verpackungsverordnung
- Sobald die Verpackungsverordnung in Kraft tritt, gilt sie für alle in der EU ansässigen Unternehmen, aber auch für alle Hersteller, die Verpackungen in die EU einführen. Sie betrifft also inländische und importierte Produkte.
- Die bislang unterschiedlichen Anforderungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten entfallen.
- Für die Unternehmen gelten striktere Vorgaben, damit sie ihre Produkte weiter in der EU verkaufen dürfen.
- Das geplante Verbot bestimmter Einwegverpackungen trifft einige Branchen besonders deutlich – unter anderem Lebensmittelindustrie, Gastronomie und Hotellerie.
- Für Kunststoffflaschen und Aluminiumdosen soll es Pfandpflichtsysteme geben.
Manchen Unternehmen bereitete das Thema im Vorfeld Sorgen. Onlinehändler fürchteten zum Beispiel, einen beträchtlichen Teil ihrer Sendungen in wiederverwendbaren Boxen liefern zu müssen. Das EU-Parlament entschied jetzt allerdings, dass das in Ländern mit hohen Recyclingquoten nicht notwendig ist. Restaurants oder Fast-Food-Ketten aber sollen Kunden ermöglichen, ihre eigenen Mehrweg-Behälter zu nutzen.
„Bürokratie bremst Unternehmen“
Im Interview sagt der Präsident der IHK Region Stuttgart, Claus Paal, warum überflüssige Bürokratie auch im Verpackungswesen systematisch abgebaut werden muss.
© IHK
Die IHK Region Stuttgart hat den Bürokratie-Check unter Betrieben eingeführt. Anfang 2024 soll er in einem KI-Pilotprojekt ausgewertet werden. Was steckt dahinter?
Die immer stärker belastende Bürokratie bremst die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen. Mit dem „Bürokratie-Check“ und der dazu eigens eingerichteten Anlaufstelle will die IHK sich die Fälle anschauen, die Unternehmen melden und die ihnen besondere Sorgen bereiten. Hierzu pilotiert die IHK aktuell ein eigens geschaffenes Tool, das künstliche Intelligenz zur schnelleren Auswertung der Fälle nutzt. Auf Basis der Ergebnisse werden die Experten des IHK 2024 systematische Lösungsvorschläge entwickeln.
Was stört wen am meisten an der Bürokratie?
Grundsätzlich sind alle Branchen gleichermaßen betroffen. Dieses Klein-Klein im Detail hat keinen Sinn mehr. Manche Verfahren sind einfach unnötig. Ein Beispiel aus der Verpackungsbranche: Derzeit gibt es in der Bundespolitik Überlegungen zu verbieten, dass bei gleichen Preisen Verpackungsinhalte reduziert werden. Versteckte Preiserhöhungen also. Hat sich jemand überlegt, wie das konkret durchgeführt werden soll? Müssen unsere Kunden dann bei jeder Veränderung der Verpackung Nachweise erbringen? Auch wenn sie technisch begründet ist? Auch wenn sie verkaufsfördernd sein soll? Wir haben aufgeklärte Verbraucher. Jeder entscheidet selbst, was er einkauft. Deshalb müssen wir nicht die letzten Reste unternehmerischer Freiheit verbunden mit dem unternehmerischen Risiko abschaffen.
Viele Verbote oder Verfügungen dienen doch dem Klimaschutz.
Dass wir in der Sache beim Klima- und Umweltschutz schneller werden müssen, steht außer Frage. Das trage ich als IHK-Präsident mit. Wir müssen Mehrwegquoten steigern und akzeptieren, dass das Ende des fossilen Zeitalters begonnen hat. Wege in die Klimaneutralität zu definieren und den Weg zu beschreiten ist für mich selbstverständlich. Und schon wieder ist geregelt, dass jeder, der diesen Weg beschreitet, aber Fehler bei Formulierungen oder Werbung dafür macht, abgemahnt werden kann. Es ist also risikoloser, Werbung für Klimaschutz einzustellen. Tut man damit dem Klimaschutz einen Gefallen? Ich habe hier noch endlos mehr Beispiele, wie wir Dinge regeln, bevor wir überhaupt begonnen haben, die Chancen zu sehen. So stehen wir bei der Nutzung der KI am Anfang einer Entwicklung, die riesige Chancen bietet. Und schon wieder diskutieren wir zuerst die Risiken und regeln alles.
Das Interview führte Anna Ntemiris.
Von Mehrwegquoten bis zu Salz- und Pfeffertütchen
Auch die in der Branche kontrovers diskutierte Mehrweg-Angebotspflicht für den Handel ist vorerst abgelehnt. Dafür aber muss der Handel laut EU-Parlament künftig eine Recyclingquote von 85% für Einweg-Getränkepackungen nachweisen. Mit einer Quote von mehr als 97%, so die Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB), stelle das in Deutschland kein Hindernis dar.
Den Verkauf von sehr leichten Plastiktragetaschen will das Parlament verbieten. Ausnahmen: Sie sind aus hygienischen Gründen erforderlich oder werden als Primärverpackung für lose Lebensmittel verwendet, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
Wann geht’s los?
Nachdem die Vorschläge den Umweltausschuss des EU-Parlaments passiert hatten, stimmte Ende November 2023 das Plenum ab. Bevor die neuen Regeln in Kraft treten können, muss das Parlament aber noch mit den einzelnen Ländern verhandeln. Dabei dürften dann auch die konkreten Quoten dafür festgelegt werden, wie hoch der Anteil an recycelten Materialien bei Verpackungen bis 2030 und 2040 sein soll.
Experten rechnen mit einer endgültigen Fassung erst 2024, die Umsetzung könnte dann 2025 beginnen. Bis dahin gilt weiterhin die alte EU-Richtlinie von 1994. Bis 2040, so das Ziel der Kommission, sollen pro EU-Staat und Kopf 15% weniger Verpackungsabfälle entstehen als im Jahr 2018.
Der Vorschlag sah zunächst ein Verbot der Papiertütchen für Zucker, Salz, Pfeffer und Süßstoff vor. Das hätte vor allem Hotellerie und Gastronomie getroffen. Die Miniportionen dürfen nach dem Willen des Parlaments nun bleiben, ebenso die Folie um Gurke oder anderes Gemüse. Kleine Shampooflaschen in Hotels sollen aber stark eingeschränkt werden.
Die Diskussion läuft weiter. Die endgültige Fassung der Verpackungsverordnung wird für 2024 erwartet, die Umsetzung für 2025.
Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.
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